Kollateralschäden des Urheberrechts

Wieder und wieder hören und lesen wir es: Das Urheberrecht muss reformiert werden. Das geben mittlerweile sogar die oft als verstaubt angesehenen Konservativen zu. Komischerweise hält sich jedoch das Vorurteil hartnäckig, dass eine Reformation des Urheberrechts mit dessen Abschaffung gleichzusetzen sei. Das fordern natürlich nur die wenigsten, funktioniert jedoch immernoch als stärkstes Gegenargument: „Aber die Urheber müssen doch auch für ihre Arbeit entlohnt werden!
Meist ist die Antwort auf dieses flache Argument, dass es ja gerade auch um den Schutz der Urheberinnen geht und dass Kultur davon lebt, dass sie sich reproduziert und aufeinander aufbaut. Das ist auch völlig korrekt (und dazu haben sich schon viele zu Wort gemeldet). Jedoch ist es nicht der einzige Grund, weshalb das derzeitige Urheberrecht schädlich für unsere Gesellschaft ist.
Viele Probleme entstehen nämlich nicht wegen der immer längerwerdenden Schutzfristen, die längst nicht mehr dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit entsprechen, sondern weil das Urheberrecht sich schlicht nicht mehr durchsetzen bzw. organisieren lässt.

Statute of Anne
for the Encouragement of Learning

Computer sind Kopiermaschinen. Jeder Datentransfer ist eigentlich eine Kopie. In dieser inneren Logik der Technologie lässt sich das Urheberrecht (in seiner derzeitigen Form) nicht mehr durchsetzen. Doch anstatt das einzusehen und das Recht daran anzupassen, halten wir verkrampft an einem Konstrukt fest, dass ein Flickenteppich aus internationalen Verträgen und historisch gewachsenen Merkwürdigkeiten ist. Und genau in diesem verbissenen Festhalten an etwas, dass eigentlich nicht mehr funktionieren kann, liegt das große Problem.
Ganz nach dem Motto „was nicht passt, wird passend gemacht“ kommt es zu immer abstruseren Gesetzen, die uns plötzlich auch in ganz anderen Situationen einschränken.

Was häufig übersehen wird ist, dass es da noch mehr zu diskutieren gibt, als die Interessen der unterschiedlichen Akteure.
Denn unter dem Urheberrecht leiden auch viele, die nicht Verwerter, Urheberinnen oder Konsumenten sind.
Mit dem Urheberrecht werden viele problematische Entwicklungen gerechtfertigt, die gar nichts mit geistigen Gütern zu tun haben:

  • Überwachung: Immer wieder müssen wir uns gegen alberne Gesetze wehren, die unsere Kommunikation überwachen wollen. Gerne werden solche Sachen mit anderen Dingen (wie Terrorabwehr oder „Kinderpornografie“ wie sie die Dokumentation von Kindesmissbrauch verharmlosend nennen) gerechtfertigt. Doch wer zwischen den Zeilen lesen kann merkt schnell, was die eigentliche Motivation dahinter ist. Nach Einführung der Vorratsdatenspeicherung kamen schnell die Forderungen auf, die Daten auch für die Verfolgung von „illegalen Downloads“ zu nutzen. Für die Umsetzung der „three strikes“ wie sie in Frankreich praktiziert werden, ist es nötig in die Datenpakete zu schauen. Anstatt einzusehen, dass sich solche Dinge einfach nicht kontrollieren lassen, treten wir Bürgerrechte und demokratische Freiheitsprinzipien mit Füßen und vergessen, dass unsere Vorfahren einst dafür ihre Leben gegeben haben. Und wofür? Um ein längst überholtes Regelwerk aufrechtzuerhalten, das lange nicht mehr die Kultur fördert, sondern nur noch die privaten Taschen einiger weniger Verwerterinnen.
  • Störerhaftung: Wie oft habt ihr euch im letzten Monat schon darüber geärgert, dass es nirgendwo mehr ein offenes WLan gibt? Selbst in Internetcafes, wo das früher ganz einfach ging, ist jedes Netz verschlüsselt. Das Gesetz zur Störerhaftung hat unsere Technik verkompliziert. Laptop auf, einwählen, lossurfen geht heute nicht mehr. Überall muss man sich erst ein Passwort geben lassen, häufig sogar irgendwo anmelden oder sogar für den Zugang unterschreiben.  Vor allem mit Smartphones ist das eine ätzende Schikane. Und auch die Heim WLans sind alle verschlüsselt. Keiner gönnt seinem Nachbarn mehr was. Und zwar nicht, weil man nicht teilen will, sondern weil man befürchten muss, haftbar gemacht zu werden, für das, was andere tun. Früher konnte man in einer fremden Stadt einfach mal irgendwo ein offenes Netz zum Mails checken nutzen. Und ich weiß noch, wie dankbar ich nach einem Umzug war, dass ich die zwei Wochen Wartezeit bis mein Anschluss freigeschaltet wurde, mit einem offenen WLan aus meinem Haus überbrücken konnte. Internet ist eine Infrastruktur, die immer wichtiger wird. Aber anstatt dass Städte freies Netz zur Verfügung stellen, oder sich die Freifunkbewegung ausbaut, sind wir alle auf unser jeweiliges UMTS angewiesen, das dann oft nicht einmal funktioniert. Und alles nur, weil sich ein paar Politiker von Lobbyistinnen um den Finger wickeln lassen und nicht einsehen, dass der Preis viel zu hoch ist, um ein längst veraltetes Gesetz, das einer einzelnen Wirtschaftsspate nützt, krampfhaft aufrecht zu erhalten. Stellt euch eine Welt vor, in der es überall offene WLans gibt…
  • P2P: Aber es gibt noch ganz andere Entwicklungen, die aufgrund von urheberrechtlichem Getue beeinträchtigt werden. Die Peer-to-peer-Technologie ist beispielsweise sehr beeinträchtigt worden. Dabei handelt es sich um eine geniale Technologie, die wunderbar einsetzbar ist. Wer weiß wo sich diese Technologie mittlerweile hin entwickelt hätte, wenn sie nicht dauernd illegalisiert würde. Da steckt eine Menge Potential drin, das wir nicht weiterentwickeln, weil man damit ja auch Videos runterladen kann. Wir haben enorme Bandbreiten, aber zum teilen von Daten, die über die Email-Größe hinaus gehen, brauchen wir immernoch USB-Sticks. Und deshalb setzen sich dann zentrale Firmen wie dropbox durch, die diese Lücke schließen und nebenbei ganz uneigennützig die Kontrolle über unsere Daten übernehmen. Wenn P2P sich weiter hätte entwickeln dürfen, wären wir da sicherlich auf einem ganz anderen Stand mittlerweile. Auf einem, der auch gesellschaftlich viel besser wäre.
  • DRM: Ja richtig. Das Urheberrecht ist ja auch der Antreiber gewesen dafür, dass Digital Restriction Management in unsere Güter eingebaut wurden. Und das tolle dabei ist. Damit kann man dann gleich noch ein paar mehr Restriktionen einbauen, als die vom Urheberrecht vorgesehen sind. So zum Beispiel den Ländercode. So machen sich gleich alle strafbar, die mit einem Gnu/Linux eine (originale!) DVD abspielen. Anticircumvention (alias das Antiumgehungsgesetz) machts möglich. Das verbietet mir nämlich, Kopierschütze zu umgehen, was aber halt auch fürs Abspielen nötig ist.
  • Privatkopie: Apropros Kopierschutz. Auch die legale (!!) Privatkopie wurde eingeschränkt. Im Kaufpreis (und in allen Speichermedien und Brennern etc.) ist nämlich eine Pauschalabgabe inbegriffen, die die Privatkopien, die ich anlege abdeckt. Ich erwerbe also mit dem Kauf einer CD auch die Berechtigung, Sicherheitskopien anzulegen. Naja außer, wenn ein Kopierschutz drauf ist. Dann darf ich das nicht. Und Kopierschutz ist fast überall drauf. Sicherheitskopie anlegen ist also auch nicht mehr.

Das alles sind Dinge, die unsere Demokratie beeinträchtigen, die als Kollateralschäden in Kauf genommen werden, um es einer Milionenindustrie bequem zu machen. Denn diese Industrie ist gar nicht mal in Gefahr. Sie steht nur vor der Aufgabe, sich an neue Bedingungen anzupassen. Doch dazu müsste sie ihre ausbeutende Rolle verlassen und eine dienstleistende Rolle annehmen. Und um sie vor dieser Unannehmlichkeit zu bewahren schlucken wir einige fette Kröten, die den menschlichen Fortschritt ganz schön ausbremsen.
Es ist schon erschreckend, was unsere Politiker bereit sind, für den Erhalt des derzeitigen Urheberrechtsmodelles aufzugeben. Und das muss noch mal betont werden: Das sind alles Maßnahmen, die die Einhaltung des Urheberrechts garantieren sollen. Das sind noch nicht die kulturellen Einschränkungen, die mit dem Gesetz ansich kommen.

Das Urheberrecht (vor allem die Verwertungsrechte) passen nicht mehr in unsere Zeit und muss überholt werden. Aber statt dessen werden immer weiter unsere Freiheitsrechte eingeschränkt und uns eingeredet, dass alle, die was dagegen haben gemein zu den armen Urheberinnen sind.
Das finde ich gelinde gesagt widerlich. Und deshalb wundere ich mich auch nicht über den vielen Protest dagegen.
Nicht weil wir den Urhebern ihr sauer verdientes Geld nicht gönnen. Wenn die wenigstens mal gut davon profitieren würden. Aber die werden nach dem derzeitigen Gesetz ja genau so ausgebeutet wie unsere Bürgerrechte.

Wir müssen einsehen, dass wir eine faule Stelle am Apfel nicht dadurch beheben, dass wir den Apfel beständig an die Wand schmeißen.


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Kommentare

2 Antworten zu „Kollateralschäden des Urheberrechts“

  1. Avatar von Enno Lenze

    Danke für den Beitrag. Oft (hier zum Glück nicht) wird die Schuld daran dann „den Verwertern“ gegeben. Ich bin Verwerter und kämpfe auch gegen viele dieser Systeme. Andere Verwerter, die ich kenne ebenso. Ich finde es wichtig, dass man in diesem Dialog auf diesen Punkt achtet. Die Grenze läuft nicht zwischen Künstlern/Konsumenten und Verwerter sondern zwischen konservativ und offen.

    Ich werde den Post mal diversen Leuten reichen, die immer Fragen wo denn die Probleme derzeit liegen ;)

    Gruß, Enno Lenze (Verleger)

  2. […] Wieder und wieder hören und lesen wir es: Das Urheberrecht muss reformiert werden. Das geben mittlerweile sogar die oft als verstaubt angesehenen Konservativen zu.  […]