Sexismus? Ich doch nicht!

Eigentlich jede Diskussion über sexistische Diskriminierung ruft Männer auf den Plan, die sich rechtfertigen und finden, dass es unfair ist, ihnen einen Vorwurf zu machen. Sie haben schließlich selber Töchter und verhalten sich nie sexistisch. Da ist es natürlich gemein, sie in Sippenhaft zu nehmen.
Und sie haben damit nicht Unrecht. Es fehlt eine „freisprechende Instanz“. Denn das können sie ja unmöglich selber tun. Dem schaffe ich hiermit Abhilfe im Stil eines Zeitschriften-Selbsttests. (Die Aussagekraft solcher Tests ist bekanntlich begrenzt, aber er kann eine Orientierung bieten.)

Du gehörst wirklich zu „den Guten“? Dann machst du sicherlich folgendes:

  • Ich weiß, dass meine stärkere Körperstatur einschüchternd wirken kann und trete Frauen daher auf der Straße rechtzeitig und gezielt aus dem Weg, um ihnen zu kommunizieren, dass ich ihren Raum respektiere.
  • Wenn ich nachts auf der Straße hinter einer Frau gehe, wechsle ich nach Möglichkeit die Straßenseite, um ihr ein eventuelles Bedrohungsgefühl zu ersparen.
  • Wenn ich nachts einer einzelnen Frau in der U-Bahn begegne, nicke ich ihr freundlich und zurückhaltend zu, um ihr zu bedeuten, dass ich keine Gefahr darstelle, breche aber schnell den Blickkontakt wieder, um sie nicht zu bedrängen. Kopfhörer z.B. verstehe ich als besonders starkes Signal, Abstand zu halten. Besonders in fast leeren Bussen oder Bahnen wähle ich keinen Sitzplatz in unmittelbarer Nähe zu einer Frau.
  • Besonders, wenn ich in Männergruppen unterwegs bin, achte ich darauf, dass meine Gruppe sich respektvoll verhält.
  • Wenn in Männerrunden sexistische Kommentare fallen, verbitte ich mir das. Auch bei „Kleinigkeiten“ und besonders dann, wenn ich mich damit unbeliebt mache.
  • Am Arbeitsplatz achte ich darauf, dass ich mir nicht die Erfolge von Kolleginnen zu eigen mache, nenne Urheberinnen von Ideen, die ich unterstütze, unterbreche Frauen nicht, fordere selbiges von Kollegen ein und spreche Kolleginnen explizit auf ihre Meinung an.
  • Ich achte grundsätzlich darauf, dass in Tischrunden oder auf Panels die Frauen nicht an den Rand gedrängt werden, sondern mittig platziert sind.
  • Ich glaube Frauen, die von Übergriffen berichten und verharmlose das nicht, oder lenke ab, auf andere Menschen, die auch/größere Probleme haben.
  • Ich ermutige Frauen, sich im Zweifel gegen die gesellschaftsnorm für den Weg zu entscheiden, der ihnen selbst entspricht.
  • Ich ermutige Frauen, sich für Führungspositionen zu bewerben und mehr Geld zu verlangen.
  • Wenn eine Frau mehr Geld / andere Arbeitsbedingungen erbittet, verkneife ich mir, sie als Unbescheiden zu titulieren. Dabei mache ich mir bewusst, dass mir das auch unterbewusst passieren könnte. Deshalb lasse ich da besondere Vorsicht walten.
  • Ich achte darauf, dass ich Frauen nicht sprachlich ausblende und lege Wert auf gendergerechte Sprache, ganz besonders dann, wenn ich Vorbildfunktion habe.
  • Ich gehe grundsätzlich nicht davon aus, dass ich Dinge besser weiß, als mein weibliches Gegenüber und erkundige mich, ob eine Erklärung zu einem Thema erwünscht ist, bevor ich sie liefere.

Diese Liste ist noch nicht vollständig. Ergänzungen und Vorschläge dürft ihr mir per E-Mail schicken. (Aussagen, die auf dich nicht zutreffen, treffen auf dich nicht zu. Das zu erkennen, solltest du in der Lage sein. Wehe ich kriege hinterher Nachrichten von sehr kleinen Männern oder Selbständigen, die sich in einzelnen Punkten nicht wiedersehen.)

 

Auswertung:

Alle Fragen mit „Ja“ beantwortet:
Gratuliere! Du machst wirklich alles richtig und darfst dich hiermit als einer von „den Guten“ bezeichnen. Allerdings erst, nachdem du den Test noch mal durchgegangen bist und dich gefragt hast, ob du auch wirklich ehrlich geantwortet hast.

1 bis 4 Fragen mit „Nein“ beantwortet:
Gratulation! Du bist ein Mensch und damit nicht frei von Fehlern. Und du bist lieber ehrlich, als perfekt. Du wurdest in einer sexistischen Welt aufgezogen und da ist es nicht verwunderlich, dass du nicht alle Aspekte von Sexismus verstanden hast. Eine selbstkritische Haltung wird dir helfen, auch die letzten Punkte in den Griff zu bekommen. Du darfst dich als „einer von den Guten auf Probe“ bezeichnen.

5 bis 6 Fragen mit „Nein“ beantwortet:
Wenigstens bist du ehrlich. Und Hopfen und Malz ist auch noch nicht verloren. Bevor du dich aber in feministischen Diskussionen als „einer von den Guten“ bezeichnest, solltest du dich noch etwas mehr mit dem Thema beschäftigen. Lies mal ein paar von den unten verlinkten Texten und stelle in Diskussionen um sexistische Diskriminierung lieber ein paar ehrlich-interessierte/konstruktive Fragen.

Mehr als 6 Fragen mit „Nein“ beantwortet:
Du scheinst dir den Titel „einer von den Guten“ etwas zu voreilig gegeben zu haben. Denn dazu gehört etwas mehr, als das reine Weglassen von sexuellen Übergriffen. Lies dich erst mal ins Thema ein, höre zu und sei dabei selbstkritisch.

 

Warnung:

Ein gutes Ergebnis in diesem Test, sagt noch nichts aus über deine Werte bezüglich anderer Diskriminierungsformen, wie Rassismus, Homo- und Transfeindlichkeit, Altersdikriminierung, Body-Shaming, Ableismus, Chauvinismus, Elitismus und so weiter. Es kann daher hier kein „Freispruch“ in Bezug auf diese Themen stattfinden. Die in diesem Test geübte Selbstkritik kann aber auch bei diesen Themen Anwendung finden.

 

Links (nicht nur) für fortbildungswillige Männer:

Feminismus für Kerle, von einem Kerl | Feminismus 101

Linksverkehr im Kopf | Leena Simon

#metoo: Ich auch | ZEITmagazin

Sexismus und Me Too: Ich bin der Typ in der dunklen Gasse – Gerechtigkeit – bento

Scheinbar banal, nie egal: Versteckter Sexismus | Leena Simon

Dialog über Feminismus – Digitalcourage

Was sind männliche Privilegien? | Feminismus 101

#om12 Sprache und Plattformneutralität – Anatol Stefanowitsch – YouTube

Derailing für Anfänger (Achtung Zynismus!)

Katie Roiphe: ‘Why am I being paid less than my male colleagues?’ | Life and style | The Guardian

Solidarität zum Weltfrauentag

Der Feminismus erlebt dieser Tage eine aufregende Zeit. Zum einen scheint es wieder en vogue, dass bekennende Frauenhasser in hohe Ämter gewählt werden, der Rückwärtstrend in Sachen Frauenrechte zeigt sich in Polen, im Iran, den USA und auch in Parteien wie der AfD. Ein Mann, der öffentlich sagte, es sei ok, Frauen ungefragt an die „Pussy“ zu greifen, wird zum Präsidenten der USA gewählt und darf nun Vorbild in Sachen Sexismus werden, dem tausende, nein millionen junger und alter Männer nacheifern dürfen.

Heejab_CC-by-2_Khashayar Elyassi

 

Zum anderen – und das stand ja zu hoffen – erfährt gerade dadurch die Frauenbewegung (notgedrungen) einen neuen Schub. Dieser ist sehr zu begrüßen, denn Diskriminierung aufgrund des Geschlechts ist selbst in den fortgeschrittensten Ländern (wie Schweden) noch lange nicht besiegt. Fast gleichzeitig mit diesem Schub begann aber auch eine Desolidarisierung, die schon Simone de Beauvoir durch die Verteilung der Frauen über alle Stände (und Hautfarben, wie ich anfügen möchte) erklärte. Es ist schwer, eine gemeinsame Bewegung zu schaffen, wenn uns dabei verschiedene andere Privilegien (Bildung, Reichtum, Religion und Hautfarbe) einen Strich durch die Rechnung machen. Die leider sehr berechtigte Kritik am „white feminism“ macht uns schmerzhaft darauf aufmerksam, dass weiße Frauen ebenso gut diskriminieren können, und genau in die selben Fallen tappen können wie Männer, wenn es darum geht, Menschen unsichtbar zu machen, die ihr Privileg nicht teilen.

Privileg. Das klingt oft wie ein Vorwurf. „Vermeide doch dieses Wort besser.“ Nein, das tue ich nicht. Denn genau an dieser Stelle sehe ich das große Problem. Könnten wir über Privilegien reden, ohne dabei Vorwürfe zu meinen oder zu hören, könnten wir vielleicht besser verstehen. Sich mit Diskriminierung auseinanderzusetzen, hat immer und in erster Linie etwas mit Selbstkritik zu tun. Wann habe ich mich wie verhalten und war das vielleicht ungewollt sexistisch, rassistisch, diskriminierend? Selbstkritisch werde ich nicht, wenn ich mich angegriffen fühle. Selbstkritik gelingt viel besser, wenn ich mir die Erlaubnis gebe, mir danach auch zu verzeihen. Selbstkritik ist notwendig, wenn ich mich verantwortlich mit meinen Privilegien auseinandersetzen möchte.

Ich war bereits volljährig, als ich den ersten Transmenschen (übrigens ein Transmann) kennengelernt habe. Ich muss mir keinen Vorwurf dafür machen, dass ich mich mit der Lebenswelt eines Transmenschen nicht gut auskenne. Ich muss mir nur bewusst machen, dass ich ihre Perspektive überhaupt nicht kenne und daher schlecht urteilen kann. Dem kann ich nur gerecht werden, indem ich sie ernst nehme. Eselsbrücke könnte dabei Sokrates himself sein. „Ich weiß, dass ich nicht weiß.“ (sic)* ist als Mantra hervorragend geeignet, wenn es darum geht, bewusst mit den eigenen Privilegien umzugehen. Ich muss immer damit rechnen, dass es einen ganz wichtigen Punkt gibt, den ich nicht nachvollziehen kann und der meine Ansicht zu dem Thema völlig verändern würde, wenn ich denn schon auf ihn gestoßen wäre.Massafelli Photography

Es geht dabei nicht darum, Diskriminierung zu verteidigen, indem man zu viel Verständnis dafür aufbringt, oder sie schön redet. Es geht darum, sie endlich einfacher benennen zu können, da ein Benennen nicht sofort Rechtfertigung, Kleinreden, Abtun oder Gegenwehr herovrrufen müsste. Wenn wir mehr Verständnis für die blinden Flecken aufbringen, die wir durch unsere Privilegien unweigerlich erhalten, können wir einander helfen, darüber hinweg zu kommen. Dann können wir uns stets sagen: „An dieser Stelle habe ich ein Privileg, das mich blenden könnte. Ich sollte besser erst mal nachfragen bei Leuten, die das an eigener Haut erfahren.“ Und dann können wir eine Frauenbewegung in Solidarität gestalten.

Dies versuche ich schon seit Jahren mit dem Beispiel des Linksverkehrs in England zu erklären. Das ich zum Weltfrauentag 2017 endlich ein Mal aufgeschrieben habe. Viel Spaß dabei.

 

* Oft wird Sokrates falsch ins Deutsche übersetzt, indem aus dem korrekten „nicht“ ein s gehängt wird: „Ich weiß, dass ich nichts weiß“ hat allerdings eine ganz andere Bedeutung, wie durch die korrektere Englische Übersetzung zu „I know that I do not know“ deutlich wird. Bei Sokrates‘ Aporien ging es nie darum zu behaupten, er wisse gar nichts. Es geht darum, an einem gewissen Punkt einzusehen, dass man die Antwort auf diese Frage einfach nicht wissen könne und sich seines beschränkten Horizontes immer gewahr zu sein.

 

Bildlizenzen:

Heejab: CC by 2.0 Khashayar Elyassi
Woman of Colour: CC by nc 2.0 massafelliphotography.com

Linksverkehr im Kopf

Als ich als Jugendliche zum ersten Mal nach England fuhr, wurde ich von vielen Seiten gewarnt, den Linksverkehr nicht zu unterschätzen. Ich dachte mir nichts groß dabei. Ich konnte mir vorstellen, dass es beim Führen eines Wagens eine große Umstellung wäre und hatte dabei vor allem den Vorgang des Rechtsabbiegens vor Augen, dessen deutsches Pendant mir schon auf dem Fahrrad äußerst kompliziert erschien. DriveLeftIRL_cc-by-sa-3_Thjurexoell

Meine Mutter lieferte ein wertvolles weiteres Detail. „Denk daran auch, wenn du über die Straße gehst.“ Mir kam das überflüssig vor. Man schaut doch ohnehin in beide Richtungen. Wie wichtig dieser Hinweis war, wurde mir erst klar, als ich beinahe angefahren worden wäre, weil ich schon mal einen Schritt auf die Straße machte, während ich in der völlig falschen Richtung nach einem Auto ausschau hielt. Manche Dinge versteht man erst richtig, wenn man sie erlebt hat und versteht, wie sie zu Stande kommen.

Mit der Nachfrage, warum das so betonenswert sei (anstatt anzunehmen, alle hielten mich für unfähig, eine Straße zu überqueren) hätte ich schnell herausfinden können, dass man die Gefahr auch als Fußgängerin unterschätzen kann und wie diese entsteht. Mit allem, was ich wusste, hätte ich darauf kommen können, ohne es unfreiwillig selbst auszutesten.

Es gibt jedoch etwas, wovor ich nicht gewarnt wurde. Etwas, das ich mir aus dem Hinweis auf Linksverkehr nie und nimmer hätte ableiten können. Denn auch die Rolltreppen haben in England Linksverkehr. Zunächst zweifelte ich an mir selbst, als ich zum wiederholten Male auf eine Rolltreppe lief, deren Stufen mir entgegen kamen. Dann wurde mir klar, dass ich aus Deutschland gewohnt bin, dass Rolltreppen zumeist anders herum angeordnet sind.* Ich war mein Leben lang einem System gefolgt von dem ich gar nicht wusste, dass es existiert. Und ich wäre auch niemals darauf gekommen zu fragen, ob Rolltreppen nach einem bestimmten System angeordnet sind. Das spielt doch in meiner Welt keine Rolle. Vor allem aber, wäre ich nicht darauf gekommen, aus der Information „in England ist Linksverkehr“ abzuleiten, dass dann wohl auch die Rolltreppen anders angeordnet sind. Ich hätte es wohl nie erfahren, wenn ich nicht die Möglichkeit gehabt hätte, die andere Situation an eigener Haut auszuprobieren.

zwei Rolltreppen von oben.

Welche fährt nach oben, welche fährt nach unten? Hängt davon ab, wo sie stehen.

Leider gibt es diese Möglichkeit in Diskriminierungssituationen eher selten. Und so schaue ich seither auf mein linksverkehr-naives Ich vor der Englandreise mit einem ähnlichen Blick, wie auf einen Mann, der sich beim besten Willen nicht erklären kann, warum es immer noch Frauen gibt, die finden, sie wären nicht gleichberechtigt. Warum gehen die nicht über die Straße? Ist doch alles frei! Mitnichten! Das gefährliche Auto kommt nur aus der anderen Richtung, als du es erwartest.

Seither frage ich mich also, wie oft Menschen Dinge nicht begreifen, Fragen nicht stellen, weil ihnen gar nicht erst in den Sinn kommt, dass sie sich an einem Muster orientieren, das bei anderen vielleicht ganz anders aussehen könnte. Es ist für mich zur Metapher geworden, weshalb es so viele Missverständnisse gibt zwischen Menschen, die unterschiedliche Lebenswelten haben. Und es hat mich gelehrt, dass es bei Diskussionen um Diskriminierung nicht um Schuldzuweisung gehen sollte. Wie soll jemand ein Problem begreifen können, von dessen Existenz er zwar weiß, so wie ich wusste, dass in England Linksverkehr ist, es aber in seinen facettenreichen Ausmaßen gar nicht erfassen kann?

british_car_CC-by-nc-sa-2_Elliott-Brown

Nicht alle Folgen des Linksverkehr sind so offensichtlich, wie die Seite des Lenkers im Auto.

Wie soll sich ein weißer Mann, der sein ganzes Leben über von starken männlichen Heldenfiguren in Bilderbüchern, Hörspielen, Comics und Kinofilmen umgeben war, vorstellen können, wie unerträglich die Abwesenheit von Schwarzen Mädchen in der Kinderbuchliteratur ist? Es ist für ihn so normal, dass er nicht mal auf die Idee kommt, dass anderen da etwas fehlt. Gewiss: Wenn er aufmerksam zuhört, wird er verstehen können, weshalb man besser rechts-links-rechts schauen sollte, um nicht überfahren zu werden. Doch er wird nicht an die Rolltreppen denken können, nicht fragen, was es mit einem Menschen macht, der in Literatur, Fernsehen und nicht mal der Werbung repräsentiert ist. Es ist zu weit entfernt aus seiner Lebenswelt.

Unsere einzige Hoffnung besteht darin, einander keine Vorwürfe zu machen für die blinden Flecken, die wir durch unsere Privilegien unweigerlich erhalten. Dann können wir uns der Verantwortung stellen, mit dem Umstand angemessen umzugehen, dass jeder Mensch einen begrenzten Horizont hat. Und dann können wir anfangen von dem weißen Jungen zu erwarten, dass er es wenigstens versucht, sich bewusst zu machen, wie viel dem Schwarzen Mädchen verwehrt blieb, über dessen Wert er sonst nie nachgedacht hätte.
* Ich habe seither genauer darauf geachtet und bemerkt, dass auch viele Rolltreppen von diesem System abweichen. Dann aber immer mit einem Grund.

 

Bildlizenzen:

DriveLeft Schild: CC by sa 3.0 Thjurexoell
British Car: CC by nc sa 2.0 Elliott Brown
Rolltreppen: CC by nc sa 2.0 Ralf Appelt

Zeit für Freiheit: Tu was gegen Überwachung!

Du fragst dich, was man gegen die zunehmende Überwachung tun kann? Wir haben da was für dich. Nimm dir #ZeitfürFreiheit!

„Aufstehen statt Aussitzen“ ist das Motto der diesjährigen Demo „Freiheit statt Angst“ (FsA). Diese Botschaft ist nicht nur an die Bundesregierung gerichtet. Gemeint sind alle Menschen, die erkannt haben, welche Gefahren von der Totalüberwachung ausgehen, und sich dennoch bisher nicht spürbar dagegen empören.

Ja, genau: Du bist gemeint!

Wir dürfen von unserer Regierung nicht erwarten, was wir selbst nicht zu bringen bereit sind. Deshalb müssen wir zu erst bei uns anfangen, und uns für unsere Freiheit (vom Sofa) erheben. Über die Jahre konnte das Orgateam bei der Organisation der FsA-Demos eine gewisse Routine entwickeln. Doch wir sind keine Demodienstleister und können nicht alles alleine stemmen.
Der Widerstand muss aus der Mitte der Gesellschaft kommen! Das gilt auch für die Mobilisierung: Ohne euch geht’s schlicht und ergreifend nicht. Wir brauchen eure Zeit und euren Einsatz!

Ein Tweet ist nett, aber noch lange nicht genug! Wir brauchen Menschen, die mit Plakaten und Flyern durch die Städte ziehen, die Busfahrten organisieren und andere Menschen ermuntern und motivieren, am 30. August 2014 in Berlin mit zur Demo zu kommen. Investiere deshalb bitte auch du #ZeitfürFreiheit! Unterstütze uns bei der Demoorga und Mobilisation. Suche dir aus der folgenden Liste am besten gleich mehrere Punkte aus, setze sie um und erzähle anderen davon:

  • Hänge vierzig A3-Plakate in Läden in deiner Stadt aus, z.B. in Cafés, Backereien, …. Unserer Erfarung nach sind viele Läden sehr aufgeschlossen — frag doch einfach mal nach! Bei der Gelegenheit kannst doch dort auch gleich ein paar Flyer hinterlassen. Plakate und Flyer kannst du im Shop von Digitalcourage kostenfrei bestellen (0,01€/Stück).
  • Verteile 400 Flyer und Aufkleber (oder mehr) in der Öffentlichkeit. Besonders geeignet ist dafür der ÖPNV. Dort sind die Menschen gelangweilt und können nicht weglaufen. In Zweiergruppen geht das am besten. 400 Flyer sind erfahrungsgemäß binnen ein bis zwei Stunden verteilt.
  • Verabrede dich mit Freunden zum Plakatieren und bringe zwanzig A1-Plakate in der Öffentlichkeit an. Plakate und Flyer kannst du im Shop von Digitalcourage (fast) kostenfrei bestellen (0,01€/Stück).
  • Melde dich beim Orgabündnis als HelferIn für den 30.8. – es werden vor Ort immer Leute gebraucht, die z.B. als OrdnerInnen mithelfen.
  • Schreibe einen Blogartikel, warum Überwachung gefährlich ist und weise darin auf die FSA hin! Du kannst z.B. auf freiheitstattangst.de verlinken.
  • Mach deine Hand voll: Überzeuge vier Personen, mit dir zur Demo zu gehen, die das nicht ohnehin schon vor hatten. (Solltest du selbst am 30.08. verhindert sein, kannst du das kompensieren, indem du fünf Personen überzeugst ;)
  • Verabrede dich mit Freunden (die die FSA nicht kennen oder noch nicht sicher sind, ob sie hingehen w/sollen), zum Transparente-Malen. Während der kreativen Arbeit hast du viel Zeit, sie zu überzeugen, mitzukommen. Bestimmt wollen sie ihre Arbeit auch in Aktion sehen.
  • Organisiere eine Busfahrt aus einer größeren Stadt in deiner Nähe zur Demo. Trage diesen Bus unbedingt (!!) im Wiki des AKV ein, damit ihn auch andere finden.
  • Hast du prominente Freundinnen oder Freunde? Erzähle ihnen von der Demo und überzeuge sie, ebenfalls dorthin zu kommen und zudem dazu aufzurufen.
  • Spende für die Demo.

Ganz wichtig: Teile deinem Umfeld (auf Twitter und Co, in Foren oder auf Mailinglisten) mit, dass du dir #ZeitfürFreiheit genommen hast, um die FSA14 zu unterstützen, und fordere sie auf, es dir gleich zu tun.

Beispieltweet:

Ich habe mir #ZeitfürFreiheit genommen und die #FSA14 unterstützt. Jetzt seid ihr dran: https://freiheitstattangst.de/2014/08/zeit-fuer-freiheit-tu-was-gegen-ueberwachung/

Standing on the Shoulders of Free Culture

This is a crosspost of an article that I wrote for Commons Machinery:

In her earlier post, Antje Käske mentioned that „intellectual creations are never the sole creation of one individual.“ I would go even further, stating that you can not claim ownership on intellectual goods at all. Why is that? The answer lies in the origin of an idea. If I was inspired by someone else, how do I determine which part of the idea is mine?

This makes more sense with an example. Let’s choose a simple one: I am hungry. My friend comes in, eating some fries. They smell delicious and I decide to get some for me too. So whose idea was it to get some fries? Since my friend had the idea (for herself) first, it seems obvious that it was her idea. On the other hand, I have been hungry a long time and fries did enter my mind as a possible solution. Also she did not think of bringing some fries for me otherwise she might have called to find out if I wanted some. The idea to get fries for me was clearly mine. But it was very much inspired by her. And she could easily say „Hey! You got fries for yourself. You copied me.“ That is partially true! Under these circumstances, it is not possible to define who owns which part of the idea to get me some fries.

And now let’s take this conclusion back to the cultural world: a world where ideas spread and develop through the collaboration of thousands of creative producers who (most of the time subconsciously) take old ideas and make them into completely new things. It is even harder here to decide which part of an idea was mine and which part was built by somebody else. Culture only exists because people copied one another and transformed the ideas during the process.

Kirby Ferguson made an excellent four-part series of video clips claiming that „Everything is a remix„. He explains the basic elements of creativity — „copy – transform – combine“ — and emphasizes the interdependence of creativity. Not unlike the way evolution shaped our genes, he sees social evolution shaping our ideas: memes. Ideas are interwoven and every new creation could not come into existence without the influence of an older one.

The common good is a meme that was overwhelmed by intellectual property. It needs to spread again. If the meme prospers, our laws, our norms, our society: they all transform. That’s social evolution.

Isaac Newton brought this entanglement into a metaphor: nanos gigantum humeris insidentes. We are standing on the shoulders of giants. He meant that you can see much more if you base your thoughts on the findings of others before you. To his mind, his intellect can get a better perspective by building on the work of previous creators, and taking older ideas and insights into account.

This image was not Newton’s invention. It already existed several hundred years before him and can be traced back to the year 1159, when John of Salisbury wrote it down and attributed it to Bernard of Chartres:

Bernard of Chartres used to compare us to [puny] dwarfs perched on the shoulders of giants. He pointed out that we see more and farther than our predecessors, not because we have keener vision or greater height, but because we are lifted up and borne aloft on their gigantic stature.

Each of those men (Newton, Salisbury and Chartres) had his part of bringing this picture to life and keeping it going. Without a doubt, those men also had women supporting them without receiving any credit for their work either. If even this simple image cannot be said to „belong“ to one person, but rather, be the product of many contributors…how could it be any easier with the rest of our ideas?

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The image of „dwarves on the shoulders of giants“ belongs to all of us. It belongs to the community that made it possible for people to come up with ideas like that. It belongs to all of those who contribute to the public domain.

Some ideas are just meant to happen, and we know about several cases in history where a very similar invention was made at roughly the same time on different parts of the earth. If an idea is ripe, it comes up. But this happens from the joining of ideas, not from dividing them and „protecting“ them against reuse. As soon as I start to separate „my idea“ from the ideas of others, it has no chance to become part of the giant, who can carry new dwarves. Intellectual property (literally and metaphorically) kills vision.

This is what Henry Ford meant when he said:

I invented nothing new. I simply assembled the discoveries of other men behind whom were centuries of work. […] Progress happens when all the factors that make for it are ready, and then it is inevitable. To teach that a comparatively few men are responsible for the greatest forward steps of mankind is the worst sort of nonsense.

It is the nature of an idea to want to share it. But as soon as I tell somebody else about it, that other person may start a whole new process of ideas that I can’t do anything about. I have no right to forbid someone to think about and build on an idea I have just shared with them. As soon as I tell anybody about my idea, I give up control over it and lose any claim of property. As a society, we should encourage people to share their ideas. We can do this by agreeing to attribute the originators of ideas (assuming we can find them) and giving them some amount of time in which they have privileged use of the idea. But we can not call this ownership.

Of course we can say that someone had an idea. And of course the creator has a „special bond“ to his/her work. Even if J.K. Rowling used a lot of old pictures in her fantasy books, no one would deny that she is the author of „Harry Potter“ and has a different link to the books than any other person. If you invest the time to write a whole book, of course you want to get credit for it and also be able to earn some money. It is your time invested and you deserve something in return. You have the right to be acknowledged for you creation. You have the right to be attributed…and so do all the people that had the ideas that you used to develop your idea.

I can only develop an idea because I have an infinite pool of publicly-available insights to use and learn from. Therefore most of the final product of my idea also belongs to the public. This does not conflict with the importance of attribution. The more we attribute, the more we acknowledge the „special bond“ between an artist and his creation, which certainly exists. This actually takes away the power of memes like „intellectual property“. Because we do not need to fight creatives, who feel like their special bond to their work should be appreciated and mistake this with a right to „intellectual property“.

Commons Machinery plans to make the giants visible. With the attribution chain we propose, people can finally appreciate all the hard work that others have done before them. It is the technical realization of the idea that we are all just a bunch of dwarves, standing on the shoulders of huge giants.

I want a platform that shows me all the connections of ideas to older ideas, a platform that brings creations into their (historic) context. I would like to see a place that overwhelms me with connected information and teaches us to be more modest about our own achievements while appreciating the work of others.

Long live the public domain.

Reise in den Überwachungsstaat – Indien als Widerstandsmotivator

Long time no write…(This blogpost is also available in english.)

Aber ich habe für Digitalcourage einen Beitrag zu Überwachung in Indien geschrieben, den ich hier einfach mal crossposte. Dieser Text wurde dankenswerterweise von Sebastian Lisken übersetzt und ist daher auch in Englisch verfügbar.

Bild von Johannes Mahnke (cc by sa 4.0)

Bild von Johannes Mahnke (cc by sa 4.0)

Die Männer, die am Eingang des Flughafengebäudes stehen, sehen mit ihren Maschinengewehren ungemütlich aus. Mittlerweile sind wir schon gewohnt, dass man überall den Reisepass zeigen muss, doch es stellt sich heraus, dass ihnen das nicht reicht. Nur wer ein Flugticket hat, darf das Abfertigungsgebäude betreten. Doch auf die Eventualität, dass jemand ein E-Ticket hat und dies nur digital vorliegt, sind sie nicht vorbereitet. Oder doch. Ein Mann bringt eine lange Liste mit Namen. Mehrere Meter Endlospapier beinhalten sämtliche Daten derer, die heute von diesem Flughafen abreisen werden. Wir kriegen die Liste ausgehändigt und sollen unsere Namen aus den vielen Fluggastinformationen herausfinden. Erst danach dürfen wir den Flughafen betreten. Mitsamt der Liste. Die sollen wir dem Kollegen drinnen am Schalter geben.

Als ich 12 Stunden später meinen Reisepass dem deutschen Grenzbeamten bei der Einreise übergebe, atme ich auf: Zum ersten Mal kann ich mich bei der Überprüfung meiner Personalien darauf verlassen, dass deutsches Datenschutzrecht angewendet wird. Noch nie habe ich die deutsche Datenschutzgesetzgebung und was sie schützt so intensiv erlebt wie in diesem Moment.

So endete für mich eine dreiwöchige Reise durch Indien im letzten November. Es war eine aufregende Reise mit vielen neuen Eindrücken. Besonders nachhaltig hat sich der Eindruck gehalten, wie sehr die indische Bevölkerung und ihre Besucher überwacht werden:
Bei jeder Hotelübernachtung wurde unser Reisepass kopiert und wir mussten für ein Foto posieren. Auch Zug fahren war nicht ohne die Nummer im Reisepass möglich, von den Unmengen an abgefragten Informationen bei der Visumsbeantragung und beim Kauf einer SIM-Karte gar nicht zu sprechen. Um einen Fern- oder U-Bahnhof zu betreten, mussten wir unser Gepäck durchleuchten lassen und durch den Metalldetektor schreiten. Videokameras gehören zum Stadtbild.

Eine sehr große Demokratie

Ich sprach mit Inderinnen und Indern, die stolz darauf sind, die (zahlenmäßig) größte Demokratie der Welt zu sein. Meine Entgegnung, dass bei derartiger Überwachung keine Demokratie mehr möglich sei, verursachte Schulterzucken. So viele Menschen zu koordinieren, erfordere eben Einschnitte, und die Sicherheit in einem Land mit so viel Armut zu gewährleisten, sei eben eine ganz andere Herausforderung als im reichen Europa. Die Nachbarschaft zum verfeindeten Pakistan und die real vorkommenden Anschläge auf die indische Bevölkerung und auf Touristen sind sehr stark im indischen Bewusstsein verankert. Und auch ich erwischte mich dabei, eine Art Doppelstandard zu denken. Vielleicht ist es hier doch gar nicht so falsch? Kann ich mich nicht wirklich etwas sicherer hier fühlen durch das pervasive Überwachen der Regierung? Meine Reise nach Indien verdeutlichte mir, warum diese Argumentationsmuster auch in Deutschland so gut funktionieren.

Im Falle des Flughafens hat es meine Sicherheit ganz sicher nicht erhöht. Als Frau ist man im chauvinistischen Indien nicht gerne alleine unterwegs. Auch das ausschließlich männliche Flughafensicherheitspersonal hielt sich nicht zurück, mir als alleinreisender Frau ihre Macht zu demonstrieren und zu versuchen, mich zu beschämen. Wenn meine männliche Reisebegleitung aus Sicherheitsgründen nicht den Flughafen betreten darf, setzt mich das sogar zusätzlicher (real spürbarer!) Unsicherheit aus. Ganz zu schweigen davon, was jemand, der Böses im Schilde führt, mit dieser Fluggastliste hätte alles anstellen können.

Schlimmer als gedacht

Mit einem Gedanken hatte ich mich jedoch vorerst beruhigt. Die meisten Datenerhebungen fanden analog statt. Mit Stift und Papier. Die schlechte Organisation der Inder ließ mich annehmen, dass die Daten nicht wirklich effizient verknüpft würden. Dass dies auch nur eine Frage der Zeit ist, war mir klar. Ende des vergangenen Jahres auf dem 30. Chaos Communication Congress (30C3) wurde ich dann eines Besseren belehrt: es wird bereits jetzt noch viel mehr elektronisch erfasst und effizient verknüpft, als ich befürchtet hatte. Wir können in Indien schon heute sehen, wie unsere Zukunft aussehen könnte, wenn wir den Kampf gegen Überwachung für verloren erklärten.

Zwei Vorträge zum Thema

Ich möchte zwei Vorträge zu diesem Thema vom 30C3 empfehlen. Maria Xynou beschreibt in ihrem Vortrag ein wahr gewordenes Horrorszenario

Sie schildert, dass Unmengen an Daten in einen zentralen Speicher zusammen geführt werden. Das, was mit der Flughafenliste „im Kleinen“ passiert, gibt es in Indien auch im Großen. Denn Indien hat zwar sehr viele Überwachungsgesetzte, aber kein Datenschutzgesetz.
So sieht es auch Kaustubh Srikanth, der am folgenden Tag ebenfalls sehr eindringlich von dem erzählte, was in seiner Heimat geschieht.
Es müsse nur einmal einen „evil Snowden“ geben. Einen, der Zugang zu diesem enormen Datenspeicher hat und diese Daten offen ins Internet stellt, ohne das politische Feingefühl des echten Snowden. Ganz Indien stünde nackt da. Xynou und Srikanth berichten, dass die indische Bevölkerung mit wirtschaftlichen Repressionen dazu gedrängt wird, ihre biometrischen Merkmale für die zentrale Datenbank zur Verfügung zu stellen. Überwachung darf dort aus jedem Grund geschehen. Und die Informationen werden bereits missbraucht: Politiker lassen Menschen verhaften, die sich kritisch zu ihnen äußern.
Anscheinend ist in Indien das bereits geschehen, was wir in Europa noch bekämpfen. Das sollte uns motivieren, unsere Freiheitsrechte mit aller Kraft zu verteidigen.

Doch Xynou und Srikanth sind optimistisch. Während bei uns mehr und mehr Menschen bereits die Flinte ins Korn werfen, sind beide – trotz der viel aussichtsloseren Situation in Indien – überzeugt, etwas verändern zu können. Srikanth erzählt auch weshalb: in Indien gab es in den letzten Jahren eine große Protestbewegung gegen Korruption, bei der viel erreicht worden sei. Das ist auch sein Ziel für den Datenschutz. Dass es möglich ist, mit solchen Themen mehrere tausend Menschen auf die Straße zu bringen habe er im letzten Herbst in Berlin auf der Freiheit Statt Angst Demo gesehen. Das habe ihm viel Mut gemacht.

Wir im Datenschutzwunderland

Verglichen mit anderen Ländern leben wir in Deutschland im Datenschutzwunderland. Derweil wird allein in Indien ein Sechstel der Weltbevölkerkung daran gewöhnt, dass Überwachung ganz normal und ein unvermeidbares Übel sei. Während wir hier über die Vorratsdatenspeicherung diskutieren, werden dort weitaus gruseligere Tatsachen geschaffen. Und Indien ist nicht der einzige stark bevölkerte Überwachungsstaat. Bezieht man allein China in die Betrachtung mit ein (Thema eines anderen Vortrags auf dem 30C3) sind wir schon bei einem guten Drittel der Weltbevölkerung, das permanent ausgespäht und gefügig gemacht wird.

Bild von Johannes Mahnke (cc by sa)

Bild von Johannes Mahnke (cc by sa)

Unser Widerstand hilft nicht nur bei uns. Er hat auch Signalwirkung ins Ausland. Sowohl in die Politik als auch für die Menschen, die gegen einen noch viel größeren Goliath kämpfen. Wenn Srikanth seinen Vortrag damit beendet, zu betonen, wie wichtig für ihn die „Freiheit statt Angst“-Demo war, wird mir klar: Während wir uns von Streitigkeiten über das Datum demotivieren lassen, vergessen wir, was wirklich wichtig ist. Wichtig ist, dass es solche Demos gibt und dass wir damit über die deutschen Grenzen hinaus ein Signal setzen. Kein kleinteiliger Streit oder Pessimismus darf das verhindern.

Mut machen und erfolgreich sein

Wenn wir uns nur auf das Innere unserer „Festung Europa“ konzentrieren, werden wir angesichts dieser Übermacht an Überwachungsglauben langfristig nicht weit kommen. Denn nicht nur wir haben Wirkung nach außen. Das Außen wirkt auch auf uns. (Viele Firmen, die Überwachungstechnik produzieren, kommen aus Indien.) Deshalb müssen wir uns damit beschäftigen, wie wir die Menschen außerhalb Deutschlands und außerhalb Europas unterstützen können, und uns unserer Vorbildwirkung bewusst werden. Denn dann können wir uns gegenseitig Mut machen und erfolgreich sein.

Weiterführende Links:

A journey to a surveillance state – new motivation to resist found in India

Bild von Johannes Mahnke (cc by sa 4.0)

Picture by Johannes Mahnke (cc by sa 4.0)

Seeing those men with machine guns at the airport entrance is not a comforting experience. By now we are used to having our passport inspected everywhere, but this time that is not enough. Only those who can show a ticket are allowed to enter the terminal building. Our case is an eventuality they are not prepared for – that someone might have an electronic ticket which they can only present in digital form. Or maybe they are: a man appears with a long list of names. Several metres of fan-fold paper containing all known data of those that will depart from this airport today. They give us the list and ask us to find our own names among all that passenger data. Only then are we allowed to enter. Still holding the list, that is – we are supposed to hand it over to the colleagues at the counter inside.
12 hours later, as I show my passport to the German immigration official, I feel relieved. For the first time I can rest assured that German data protection rules will be applied as my identity is checked. I never felt such an intense sense of protection resulting from these rules as I do at this moment.
That’s how a three-week journey to India ended for me in November 2013. Is was an exciting trip with a lot of new experiences. What stuck most in my mind is how much surveillance the Indian population and their visitors are subjected to:

For every stay in a hotel, our passports were copied and we had to pose for a photo. Travelling on a train was not possible without giving the passport number either, and that’s nothing compared to the masses of data we were asked for when applying for a visa or buying a SIM card. To enter a railway or subway station, we had to have your luggage scanned and walk through a metal detector. CCTV cameras are a regular feature of the urban environment.

A very large Democracy

I spoke to Indian people who expressed pride of being in the world’s largest democracy (by population size). When I responded that this amount of surveillance makes democracy a farce, they only shrugged their shoulders. To coordinate this vast number of people, they said, there have to be restrictions, and they considered it a much larger challenge to provide security in this country with all its poverty, compared to wealthy Europe. Living in conflict with the neighbouring state of Pakistan and experiencing very real attacks on the population and also on tourists has deeply embedded itself in the Indian mind. And I caught myself thinking with a kind of double standard as well. Maybe, after all, this is not so wrong for this country? Can’t I actually consider myself a bit more safe with this government’s pervasive surveillance? My journey to India made me realise why these arguments work so well in Germany, too. But in that airport, the surveillance clearly did not increase my personal security. You do not really want to travel on your own as a woman in chauvinist India. The exclusively male staff at the airport did not hesitate to demonstrate their power to me as a single female traveller, and to try shaming me. If my male travelling companion is not allowed to enter the airport for security reasons, it subjects me to additional and palpable insecurity. And I don’t even want to think what an evil-minded person could have done with that list of plane passengers.

There was one thought that calmed me though. Most data registration was still done in an analogue way, using pen and paper. The imperfections of Indian organisation led me to believe that data would not be connected very efficiently – although it was clear that this would only be a matter of time. At the 30th Chaos Communication Congress (30C3) in late December 2013, I learned that the amount of data that is already digitally registered and connected is much larger than I had feared. India shows us today what our own future could look like – if we were to give up the fight against surveillance as a lost cause.

At 30C3, two talks on India offer insights

I would like to recommend two 30C3 talks about this issue. Maria Xynou describes a horror scenario come true:

She describes how masses of data are put together in a central datastore. What happened with the list of plane passengers on a short scale also takes place in India on a large scale. India has a lot of laws on surveillance, but none on privacy and data protection.
This view is supported by Kaustubh Srikanth, who also gave a haunting talk about what is happening in his home country on the following day.
There would only need to be one “evil Snowden”, he said. Someone with access to these enormous amounts of data who makes it openly available on the Internet, without the political sensibilities shown by the real Edward Snowden. All of India would be exposed naked. Xynou and Srikanth explained how the Indian population was forced by economic pressure to supply their biometric data to the central database. In India, surveillance can take place for any reason at all. And the information is being abused already: politicians have people who speak out against them arrested.
It seems that what we are fighting against in Europe has already happened in India. That should motivate us to defend our freedoms with all our power.

But Xyrou and Srikanth are still optimistic. While more and more people here are throwing in the towel, they are both are convinced that they can change things for the better, even though the situation seems much less hopeful in India. And Srikanth explains why: there has been a large protest movement against corruption in India in recent years, and it has achieved a lot. That is his ambition with respect to privacy as well. At the “Freedom Not Fear” (“Freiheit statt Angst”) rally in Berlin last autumn, he saw how it was possible to get thousands of people onto the streets protesting about these issues. That gave him a lot of courage.

Data Protection Wonderland

Compared to other countries, we in Germany live in a data protection wonderland. In the meantime, as much as a sixth of the world’s population is being attuned to the thought that surveillance is completely normal and a necessary evil. While we are debating data retention, facts are being created over there that are much more horrendous. And India is not the only populous surveillance state. If we add China to the picture (as discussed in another 30C3 talk), we have as much as a third of humanity being constantly spied on and brought to heel.

Bild von Johannes Mahnke (cc by sa)

Picture by Johannes Mahnke (cc by sa)

Our resistance is not only helping us. It has a signal effect abroad as well – for politicians and also for people who are fighting against a much larger goliath. When Srikanth points out at the end of his talk how important the Berlin “Freiheit statt Angst” rally was for him, it sends a clear message to me: while we in the German “movement” quarrel about the event’s date, we forget what is really important. The important thing is that the rally goes ahead and that we send a signal with it beyond the German border. No squabbling about details and no pessimism must be allowed to stop that.

Encourage and Succeed

If we restrict our focus to the inside of our “Fortress Europe”, we will not get very far in the long term, faced with this overpowering belief in surveillance. Because it is not just us who have an effect on the outside world. The outside affects us, too. (Many producers of surveillance technology are companies from India.) We must not forget to ask how we can support people outside of Germany and outside of Europe, and we need to become aware of the role model effect that we can have. Because then we can encourage each other, and succeed.

More information:

rop.gonggri.jp: Surveillance: NOT a first world problem

Translation: Sebastian Lisken, Digitalcourage

Freiheit statt Angst – Es geht ums Ganze.

Heute möchte ich die Menschen außerhalb meiner Blase erreichen. Da das über mein Blog nicht so gut geht, habe ich untigen Text an diese Menschen meines Umfelds geschrieben (als Brief), die ich sonst nicht so gut erreiche. Hier steht er primär, um euch zu inspirieren, auch außerhalb eurer Bubble zu werben. (Wie alle meine Texte steht auch dieser unter CC-Lizenz ;)

Liebe Freundinnen und Freunde,

ich schreibe euch, weil ich Angst habe. Angst vor dem Verlust von Individualität und Freiheit. Und Angst davor, mein Urteilsvermögen zu verlieren. Seit Wochen hören wir eine Hammermeldung nach der anderen. Über die systematische Vollerfassung all unserer Kommunikationsvorgänge. Was bis vor kurzem als Verschwörungstheorie galt, ist nun traurige Gewissheit. Und wieder einmal frage ich mich, warum es niemanden zu interessieren scheint. Das Thema ist nicht so gut greifbar und verständlich, doch wir wissen: Wer viel über andere Menschen weiß, kann sie manipulieren und kontrollieren.
Seit ich nicht mehr weiß, was ich denken soll, erwische ich mich immer häufiger dabei, meine eigenen Verschwörungstheorien zu spinnen. Plötzlich begegnet mir überall der Verdacht, dass auch dort manipuliert wurde und dass ich auch hier nur an der Nase herum geführt werde. Und je mehr Nachrichten von unmöglichsten Rechtsverstößen ans Licht kommen, umso glaubwürdiger werden diese Befürchtungen für mich. Nein, ich leide nicht unter Verfolgungswahn. Ich werde tatsächlich verfolgt. All meine Handlungen im Internet werden von einer nicht fassbaren Instanz verfolgt. Aber mehr weiß ich nicht. Während diese nicht greifbaren Personen alles über mich erfahren, werde ich im absoluten Unwissen gehalten.
Genau deshalb ist Überwachung so gefährlich für die Demokratie. Wie sollen wir noch „Souverän“ sein, wenn wir nicht mehr wissen, worauf wir uns verlassen können?
Überwachung macht uns krank im Kopf. Die uneinschätzbare Kontrolle macht uns kaputt. Was wir jetzt erleben, ist nur der Anfang.

Erotik-unueberwacht

Kann ich mir da noch so sicher sein?

Es kann dazu führen, dass mehr und mehr Menschen überall weiße Kanninchen sehen, weil wir nicht mehr wissen, worauf wir vertrauen können und worauf nicht.
Oder es lässt uns in Lethargie verfallen, weil uns egal ist, dass Demokratie und Freiheitsrechte mal eben im Vorbeigehen abgeschafft werden. Rechte, für die unsere Vorfahren ihre Leben riskiert und geopfert haben. Dabei macht es keinen Unterschied, ob wir es uns damit schönreden, dass wir eh nichts daran ändern können, oder ob wir uns nicht damit beschäftigen wollen, weil es zu unbequem wäre, sich mal ein wenig damit auseinanderzusetzen, was unsere Gemeinschaft eigentlich zusammen hält. Wir tragen die Verantwortung dafür. Genau so, wie die Bevölkerung Deutschlands damals die Verantwortung für die Machtübernahme Hitlers getragen hat. Die Menschen, wie meine Oma, die bis ins Alter behauptet hat, von der Judenverfolgung nichts gewusst zu haben. Unwissenheit schüzt vor Verantwortung nicht.
Genau das ist nämlich die Bedeutung von „Demokratie“. Damit haben wir eben nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten zu erfüllen: unsere Verantwortung wahrzunehmen, unsere Freiheit zu verteidigen.
Wir behaupten, wir hätten aus der Geschichte gelernt. Doch das Niederlegen von Kränzen ist sinnlose Symbolik, wenn wir das Gelernte nicht anwenden. Wenn wir das nicht tun, dann haben wir rein gar nichts gelernt. Aus dem Nationalsozialismus nicht und auch nicht aus der DDR-Staatssicherheit. (Wie man dem Namen entnehmen kann, diente auch hier „Sicherheit“ als Rechtfertigung für die schlimmsten Vergehen am Menschen.) Überwachung führt zu Repression. Überwachung ist Repression. Und bald schon werden wir uns von späteren Generationen fragen lassen müssen, warum wir das zu Beginn des 21. Jahrhunderts nicht verhindert haben.

Wir müssen jetzt auf die Straße gehen. Wir müssen dem Überwachungswahnsinn jetzt ein Ende bereiten. Noch können wir etwas erreichen: Am 07.09.2013 auf dem Alexanderplatz in Berlin wird es eine Großdemonstration gegen den Überwachungswahn geben. Ein großes Bündnis aus über 70 Organisationen hat dazu aufgerufen. So viele Gruppen bekommt man nur zusammen bei einem Thema, das alle etwas angeht. Ausreden zählen nicht! Wer an diesem Samstag nicht auf der Straße ist, darf nicht behaupten, aus der Geschichte gelernt zu haben. Es ist vielleicht noch nicht so spürbar, aber es geht ums Ganze.

SMV – Delegationen ermöglichen, Superdelegierte durch digitale Mündigkeit vermeiden.

Die Piratenpartei diskutiert gerade auf ihrem Parteitag in Neumarkt die Einführung einer digitalen ständigen Mitgliedervertretung. Dies soll der erste Schritt sein, aus den vielen schon bestehenden Verfahren zur Onlinemeinungsbildung eine Plattform zu entwickeln, die bindende Entscheidungen treffen kann. Das Thema wird stark diskutiert und es gibt auf beiden Seiten viele wirklich gute Argumente.

Eines möchte ich herauspicken, um zu zeigen, dass sich Probleme auch anders lösen lassen: Die Frage nach Delegationen.

Der Sonntagsspaziergang von Carl Spitzweg

Hier war das delegieren noch einfacher.

Die bisherig stark genutzte Beteiligungsplattform „Liquid Feedback“ verfügt über die Möglichkeit, die eigene Stimme zu delegieren. Dadurch entstand in der Vergangenheit das Problem, dass sogenannte „Superdelegierte“ entstanden, also solche Menschen, die mit ihrer Entscheidung den Ausgang der gesamten Abstimmung beeinflussen konnten. Das wird zu Recht kritisiert.

Doch dieses Problem ließe sich einfach lösen, ohne Delegationen abzuschaffen.
Ich bin nicht in der Software drinnen, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es so schwer sein soll:

1. Da wo ich die Delegationen einstellen kann, muss ich sofort angezeigt kriegen, wo meine Stimme derzeit landet.

2. Ebenda brauche ich ein weiteres Feld „Superdelegierte vermeiden“. Dort kann ich selbst entscheiden, ab welcher Zahl für mich ein Superdelegierter anfängt und was geschehen soll, wenn meine Delegation bei einer so definierten Person ankommt.

Beispiel: Ich sage zu meinem Liquid: „Wenn meine Stimme bei einer Person ankommt, die bereits mehr als 150 Delegationen (oder mehr) auf sich vereint, schicke mir bitte eine Benachrichtigung per Mail. Werden es mehr als 300, beende die Delegation.“

Damit wird die Verantwortung zur Vermeidung von Superdelegationen wieder zurück an den Menschen gegeben. Da wo sie hin gehört.
Und damit bewahren wir digitale Mündigkeit.

Wir finden Fehler dieser Systeme nur, wenn wir sie ausprobieren. Aber das hat nur Sinn, wenn wir diese Fehler dann auch beheben. In diesem Fall wäre es doch gar nicht so schwer.

[Ich hau das jetzt schon mal schnell online und füge Verlinkungen nachträglich ein. Also nicht wundern, wenn sich hier noch „a weng“ ändert.]

Umbauarbeiten

Ich überarbeite gerade das äußere Erscheinungsbild meines Blogs. Da ich das aus Bequemlichkeit im laufenden Betrieb mache, wirds heute und morgen manchmal etwas durcheinander werden. Sorry dafür.

Update: Die Bauarbeiten sind nun weitgehend abgeschlossen. Das neue Design steht. Hoffe, es gefällt.