Long time no write…(This blogpost is also available in english.)
Aber ich habe für Digitalcourage einen Beitrag zu Überwachung in Indien geschrieben, den ich hier einfach mal crossposte. Dieser Text wurde dankenswerterweise von Sebastian Lisken übersetzt und ist daher auch in Englisch verfügbar.
Die Männer, die am Eingang des Flughafengebäudes stehen, sehen mit ihren Maschinengewehren ungemütlich aus. Mittlerweile sind wir schon gewohnt, dass man überall den Reisepass zeigen muss, doch es stellt sich heraus, dass ihnen das nicht reicht. Nur wer ein Flugticket hat, darf das Abfertigungsgebäude betreten. Doch auf die Eventualität, dass jemand ein E-Ticket hat und dies nur digital vorliegt, sind sie nicht vorbereitet. Oder doch. Ein Mann bringt eine lange Liste mit Namen. Mehrere Meter Endlospapier beinhalten sämtliche Daten derer, die heute von diesem Flughafen abreisen werden. Wir kriegen die Liste ausgehändigt und sollen unsere Namen aus den vielen Fluggastinformationen herausfinden. Erst danach dürfen wir den Flughafen betreten. Mitsamt der Liste. Die sollen wir dem Kollegen drinnen am Schalter geben.
So endete für mich eine dreiwöchige Reise durch Indien im letzten November. Es war eine aufregende Reise mit vielen neuen Eindrücken. Besonders nachhaltig hat sich der Eindruck gehalten, wie sehr die indische Bevölkerung und ihre Besucher überwacht werden:
Bei jeder Hotelübernachtung wurde unser Reisepass kopiert und wir mussten für ein Foto posieren. Auch Zug fahren war nicht ohne die Nummer im Reisepass möglich, von den Unmengen an abgefragten Informationen bei der Visumsbeantragung und beim Kauf einer SIM-Karte gar nicht zu sprechen. Um einen Fern- oder U-Bahnhof zu betreten, mussten wir unser Gepäck durchleuchten lassen und durch den Metalldetektor schreiten. Videokameras gehören zum Stadtbild.
Eine sehr große Demokratie
Im Falle des Flughafens hat es meine Sicherheit ganz sicher nicht erhöht. Als Frau ist man im chauvinistischen Indien nicht gerne alleine unterwegs. Auch das ausschließlich männliche Flughafensicherheitspersonal hielt sich nicht zurück, mir als alleinreisender Frau ihre Macht zu demonstrieren und zu versuchen, mich zu beschämen. Wenn meine männliche Reisebegleitung aus Sicherheitsgründen nicht den Flughafen betreten darf, setzt mich das sogar zusätzlicher (real spürbarer!) Unsicherheit aus. Ganz zu schweigen davon, was jemand, der Böses im Schilde führt, mit dieser Fluggastliste hätte alles anstellen können.
Schlimmer als gedacht
Mit einem Gedanken hatte ich mich jedoch vorerst beruhigt. Die meisten Datenerhebungen fanden analog statt. Mit Stift und Papier. Die schlechte Organisation der Inder ließ mich annehmen, dass die Daten nicht wirklich effizient verknüpft würden. Dass dies auch nur eine Frage der Zeit ist, war mir klar. Ende des vergangenen Jahres auf dem 30. Chaos Communication Congress (30C3) wurde ich dann eines Besseren belehrt: es wird bereits jetzt noch viel mehr elektronisch erfasst und effizient verknüpft, als ich befürchtet hatte. Wir können in Indien schon heute sehen, wie unsere Zukunft aussehen könnte, wenn wir den Kampf gegen Überwachung für verloren erklärten.
Zwei Vorträge zum Thema
Ich möchte zwei Vorträge zu diesem Thema vom 30C3 empfehlen. Maria Xynou beschreibt in ihrem Vortrag ein wahr gewordenes Horrorszenario
Doch Xynou und Srikanth sind optimistisch. Während bei uns mehr und mehr Menschen bereits die Flinte ins Korn werfen, sind beide – trotz der viel aussichtsloseren Situation in Indien – überzeugt, etwas verändern zu können. Srikanth erzählt auch weshalb: in Indien gab es in den letzten Jahren eine große Protestbewegung gegen Korruption, bei der viel erreicht worden sei. Das ist auch sein Ziel für den Datenschutz. Dass es möglich ist, mit solchen Themen mehrere tausend Menschen auf die Straße zu bringen habe er im letzten Herbst in Berlin auf der Freiheit Statt Angst Demo gesehen. Das habe ihm viel Mut gemacht.
Wir im Datenschutzwunderland
Verglichen mit anderen Ländern leben wir in Deutschland im Datenschutzwunderland. Derweil wird allein in Indien ein Sechstel der Weltbevölkerkung daran gewöhnt, dass Überwachung ganz normal und ein unvermeidbares Übel sei. Während wir hier über die Vorratsdatenspeicherung diskutieren, werden dort weitaus gruseligere Tatsachen geschaffen. Und Indien ist nicht der einzige stark bevölkerte Überwachungsstaat. Bezieht man allein China in die Betrachtung mit ein (Thema eines anderen Vortrags auf dem 30C3) sind wir schon bei einem guten Drittel der Weltbevölkerung, das permanent ausgespäht und gefügig gemacht wird.
Unser Widerstand hilft nicht nur bei uns. Er hat auch Signalwirkung ins Ausland. Sowohl in die Politik als auch für die Menschen, die gegen einen noch viel größeren Goliath kämpfen. Wenn Srikanth seinen Vortrag damit beendet, zu betonen, wie wichtig für ihn die „Freiheit statt Angst“-Demo war, wird mir klar: Während wir uns von Streitigkeiten über das Datum demotivieren lassen, vergessen wir, was wirklich wichtig ist. Wichtig ist, dass es solche Demos gibt und dass wir damit über die deutschen Grenzen hinaus ein Signal setzen. Kein kleinteiliger Streit oder Pessimismus darf das verhindern.
Mut machen und erfolgreich sein
Wenn wir uns nur auf das Innere unserer „Festung Europa“ konzentrieren, werden wir angesichts dieser Übermacht an Überwachungsglauben langfristig nicht weit kommen. Denn nicht nur wir haben Wirkung nach außen. Das Außen wirkt auch auf uns. (Viele Firmen, die Überwachungstechnik produzieren, kommen aus Indien.) Deshalb müssen wir uns damit beschäftigen, wie wir die Menschen außerhalb Deutschlands und außerhalb Europas unterstützen können, und uns unserer Vorbildwirkung bewusst werden. Denn dann können wir uns gegenseitig Mut machen und erfolgreich sein.