Piratenpartei: Shitbecher oder Flucht ins Exil

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Wegen eines „Shitstorms“ floh der attische Feldherr und Redner Alkibiades aus seiner Geburtstadt Athen vor 2500 Jahren nach Sparta. In der jungen attischen Demokratie war es nämlich möglich, politisch derart in Ungnade zu fallen, dass häufig nur (sofern man den Giftbecher nicht trinken wollte) die Flucht ins Exil blieb. Ich fühle mich von der Piratenpartei manchmal an die alten Griechen erinnert, die ihre Form der Demokratie auch erst einmal erfinden und ausprobieren mussten. Auch diese haben dabei viele Fehler gemacht.

Der Bundesvorstand der Piratenpartei entschied den bundesweiten Einsatz von Liquid Feedback erst später einzuführen. Beisitzer Benjamin Stöcker trat zurück. Innerhalb der Piratenpartei sorgte das für heftigen Wind mittschiffs.

Der Konflikt dabei dreht sich um das Spannungsfeld, das zwischen den ‚piratigen‘ Werten „Transparenz“ und „Privatssphäre“ entsteht.

In den Auseinandersetzungen um meine Bemühungen, einen geschützten Raum für Frauen in der Piratenpartei zu schaffen, fiel mir schon häufig auf, dass viele Piraten (ähnlich wie mit dem Begriff Postfeminismus) den Begriff „Transparenz“ sehr schwammig verwenden. Manche scheinen vergessen zu haben, dass auf den Freiheit-statt-Angst-Demos unglaublich viele Piratenflaggen zu sehen waren. Zur Erinnerung: Bei diesen Demos geht es um Datenschutz – und um Privatsphäre. Die Piraten fordern nämlich gar keine bedingungslose Transparenz, sondern mehr Transparenz in der Politik. Leider wird die Forderung nach Transparenz allzuhäufig missverstanden oder so dogmatisch verfolgt, dass man selbst mit VIEL gutem Willen nicht mehr mitziehen möchte. Es ist keine Frage um ALLES oder NICHTS. Aufgabe der Piraten müsste sein, eine gute Balance zwischen Privatsphäre (ALLES) und Transparenz (NICHTS) zu finden. Dies geht nur mit viel Geduld und gegenseitigem Respekt. Leider ist dies bei den Piraten nicht so sehr zu finden.

Ich habe den Konflikt um Liquid Feedback und Benjamin Stöcker nur am Rande mitbekommen. Ich kann daher darüber nicht beurteilen, wer nun „Recht“ hat oder wer sich „falsch“ verhalten hat. Maha hat einen Versuch gewagt und Jens Seipenbusch äußert sich in einem Interview.
Was mir jedoch extrem unangenehm auffällt ist die Aggressivität, mit der die Piraten ihre Konflikte austragen.

Allen ist völlig klar (hoffe ich), dass ein neues Tool, wie Liqid Feedback (LF) zunächst erprobt werden muss. Dafür ist ein Echtbetrieb unerlässlich und deshalb haben wir uns auf dem letzten Parteitag für die bundesweite Einführung von LF entschieden. Denn LF hat es – im Gegensatz zu vieler anderer Bananensoftware – verdient, bei uns zu reifen. Egal wie viele Gedanken man sich um ein derartiges Projekt im Vorfeld macht: Die tatsächlichen Probleme und Fragen tauchen erst im laufenden Betrieb auf. Genau deswegen ist es so wichtig, dass die Piraten dieses Tool nutzen und damit ausprobieren. Es KANN noch gar nicht perfekt sein und Lösungen zu den auftretenden Schwierigkeiten müssen im Diskurs gefunden werden. Für einen Diskurs ist jedoch wichtig, dass es Vertreter unterschiedlicher Positionen gibt und dass auch Minderheiten Gehör finden.

Der Konflikt zwischen „Transparenz“ und „Privatsphäre“ ist ein erstes Problem, dass nun aufgetreten ist. Das ist zunächst nichts schlimmes, denn darum geht es ja genau in einem Testbetrieb: Probleme müssen erst erkannt werden, bevor man sie lösen kann.
Beide Seiten haben gute Argumente. Jetzt geht es darum, eine Lösung zu finden, bei der wir möglichst viele Vorteile und möglichst wenige Nachteile aus beiden Seiten „raus holen“ können. Keine leichte Aufgabe. Das nennt man übrigens Politik.

Das Problem der Piraten ist also nicht der Konflikt um LF oder um ihre Grundprinzipien. Beides sind großartige Ideen die volle Unterstützung verdienen!

Das Problem liegt eher darin, dass Konflikte innerhalb der Piratenpartei dazu neigen, dogmatisch und destruktiv zu werden. Schnell wird da der Tonfall ziemlich rauh. Wir verlassen die konstruktive Ebene des Diskurses hin zu gegenseitigen Beleidigungen, Anfeindungen und manchmal sogar Drohungen. Die konstruktiven Diskussionsversuche gehen dagegen unter. Die vielen Piraten, die wirklich an einer guten Lösung interessiert sind werden niedergeschrie[h|b]en. In der Wahrnehmung rücken sie in den Hintergrund. Die Piraten haben ein Trollproblem.

Das große Schild „Bitte nicht die Trolle füttern“ -Schild scheint wirkungslos zu sein. Es ist nicht so einfach, sie verhungern zu lassen. Trolle sind Allesfresser und werden immer etwas zu fressen finden. Denn wo gehobelt wird (und hobeln ist wichtig!), fallen auch Späne. Das ist immer leckeres Trollfutter. Deshalb muss sich der piratische Umgang mit Trollen erweitern und damit modernisieren. Da müssen wir uns etwas anderes einfallen lassen. Ein Anfang wäre: Einfach schon mal ein bisschen freundlicher oder wenigstens höflicher zueinander zu sein.

Die Trollbekämpfungmethode 1.0 „don’t feed the trolls“ reicht nicht aus und ist deswegen schlecht für die Partei. Wer heute für den Vorstand kandidiert, muss sich darüber im Klaren sein, dass man so nicht nur dem einen oder dem anderen „Shit-Storm“ sondern einer ewig andauernden Serie von „Shit-Hurricanes“ ausgeliefert sein wird.

Gut. Auch in anderen Parteien muss sich der Vorstand Kritik stellen. Und auch bei der einen oder anderen Beleidigung weghören. Das ist Teil dieses Amtes. Man könnte jedoch ein gewisses Maß an Solidarität erwarten, das unabhängig von den inhaltlichen Differenzen existiert. Schließlich ist man in der selben Partei und verfolgt die selbe große Idee.

Wer für den Vorstand der Piraten kandidiert muss nicht nur über die persönliche Integrität verfügen, die innerparteilichen Differenzen auszuhalten, sondern muss sich auch darauf vorbereiten, den Trollen zum Fraß vorgeworfen und beleidigt und beschimpft zu werden. Das dürfte eine Menge sehr fähiger Leute ausreichend abschrecken, nicht zum Vorstand zu kandidieren. Und das könnten wohlbemerkt die konfliktfähigeren Menschen sein, die wir so dringend im Vorstand brauchen würden, die aber keine Lust haben sich diesen Kindergarten hin zu geben. Denn man muss entweder einen leicht masochistischen Charakter oder eben die „Balls of Steal“ haben, um ohne Persönlichkeitsschaden freiwillig auf solch einen Posten zu kandidieren. (Ich weiß, wovon ich spreche.)
Ich kann mir vorstellen, dass viele fähige Leute keine Lust haben, sich solchen Anfeindungen auszusetzen um politische Arbeit machen zu können, oder sehr gut darauf verzichten können, zur Kindergartentante zu werden, die den Jungs erst mal die Grundlagen des respektvollen Umgangs beibringen muss.

Das heißt auch für mich, dass ich mir gründlich überlegen muss, ob ich noch einmal für den Vorsitz kandidieren möchte.

Wenn die Piraten aber nicht konfliktfähig sind, sind sie auch nicht in der Lage, gemeinsam die Probleme zu lösen, die unweigerlich entstehen, wenn man sich auf einen Modellversuch wie Liquid Feedback einlässt.

Es wäre schade, wenn das Projekt daran scheitern würde, dass die Piraten nicht konfliktfähig sind. Schließlich wird LF mittlerweile auch im Bundestag diskutiert. Die Internetenquete verhandelt gerade über die Einführung von LF zur besseren Einbindung des sogenannten „18. Sachverständigen“ (das sind wir, also die Bevölkerung), woran ich übrigens nicht ganz unbeteiligt bin. LF ist also ein wichtiges Tool, was auch ernst genommen wird. Wir müssen jetzt nur aufpassen, dass wir es nicht durch unsere eigenen Konflikte um seine Glaubwürdigkeit berauben.

Einer meiner massivsten Kritikpunkte, die ich am Bundesvorstand habe ist, dass er sich vorhandenen Konflikten nicht stellt. Dies kann ich in diesem Fall allerdings nicht bemängeln. Manche Konflikte sind notwendig und bringen unweigerlich auch menschliche Fehler mit ins Spiel. Damit wir nicht total handlungsunfähig werden, sollten wir (und ich kann nicht glauben, dass ich an dieser Stelle den BuVo verteidige, an dem ich sonst ungern ein gutes Haar lasse ;-) den Vorstand nicht dafür zerlegen, dass er sich endlich mal einem Konflikt gestellt hat. Für einen konstruktiven Umgang miteinander brauchen wir Nachsicht und Respekt für einander.

Das Problem ist nicht die scheinbare Unvereinbarkeit von Transparenz und Privatssphäre. Das Problem ist, dass wir Piraten nicht konfliktfähig sind und uns von Trollen allzu häufig reinpfuschen lassen. Das ist schade. Denn damit treiben wir viele fähige Menschen weg von uns und vielleicht sogar direkt in die Arme der gegnerischen Parteien.

Damit würden wir den gleichen Fehler machen, wie die alten Athener, die ihre tolle Idee damit zerstört haben, dass sie allzu oft ihre fähigsten Menschen ins Exil geschickt haben. Fähige Menschen neigen nämlich dazu, ihr Potential dann an anderer Stelle einzusetzen und so wurde Athen dann unter anderem mit den eigenen Leuten durch Sparta besiegt. So wie der eingangs erwähnte Alkibiades, der seine taktische Fähigkeiten letztlich gegen seine ehemalige Heimat Athen einsetzte und Sparta zum Sieg verhalf.


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Kommentare

2 Antworten zu „Piratenpartei: Shitbecher oder Flucht ins Exil“

  1. Avatar von illyria
    illyria

    also das was ICH nicht an den „piratigen“ werten zwischen transparenz und hierarchie verstehe, ist dass es ja tatsächlich einfach keinerlei definition von „transparenz“ zu geben scheint.
    der fehler scheint dir auch zu unterlaufen: die forderung nach „transparenz in der politik“ bedeutet doch nicht gleichzeitig, dass sich fortschrittlich etwas ändert, oder?

    in fast allen „westlichen demokratien“ sind die verbindungen zwischen kapital und politik ziemlich klar. da braucht man nicht mit dem finger auf die usa und italien zu zeigen.

    was genau das ändert, wenn man in deutschland „transparenz“ hat und die lobbyarbeit halt gezeigt wird, verstehe ich einfach nicht.
    den leuten wird doch jetzt schon offensiv verkauft: „was gut ist für die wirtschaft, ist gut für euch.“

  2. Avatar von Grashalm GrünGlück (@KURHOF)

    Liebe Lena, ich mag Dich.
    Also Dein Denken und Fühlen so.
    Hoffentlich wird aus Dir was Beständig immer Besseres,
    ohne daß Du auf Depri oder auf Megalomoney kommst.
    fröhlich-feministische FriedensFamilien-Freundschaft, salomon