Der Feminismus erlebt dieser Tage eine aufregende Zeit. Zum einen scheint es wieder en vogue, dass bekennende Frauenhasser in hohe Ämter gewählt werden, der Rückwärtstrend in Sachen Frauenrechte zeigt sich in Polen, im Iran, den USA und auch in Parteien wie der AfD. Ein Mann, der öffentlich sagte, es sei ok, Frauen ungefragt an die „Pussy“ zu greifen, wird zum Präsidenten der USA gewählt und darf nun Vorbild in Sachen Sexismus werden, dem tausende, nein millionen junger und alter Männer nacheifern dürfen.
Zum anderen – und das stand ja zu hoffen – erfährt gerade dadurch die Frauenbewegung (notgedrungen) einen neuen Schub. Dieser ist sehr zu begrüßen, denn Diskriminierung aufgrund des Geschlechts ist selbst in den fortgeschrittensten Ländern (wie Schweden) noch lange nicht besiegt. Fast gleichzeitig mit diesem Schub begann aber auch eine Desolidarisierung, die schon Simone de Beauvoir durch die Verteilung der Frauen über alle Stände (und Hautfarben, wie ich anfügen möchte) erklärte. Es ist schwer, eine gemeinsame Bewegung zu schaffen, wenn uns dabei verschiedene andere Privilegien (Bildung, Reichtum, Religion und Hautfarbe) einen Strich durch die Rechnung machen. Die leider sehr berechtigte Kritik am „white feminism“ macht uns schmerzhaft darauf aufmerksam, dass weiße Frauen ebenso gut diskriminieren können, und genau in die selben Fallen tappen können wie Männer, wenn es darum geht, Menschen unsichtbar zu machen, die ihr Privileg nicht teilen.
Privileg. Das klingt oft wie ein Vorwurf. „Vermeide doch dieses Wort besser.“ Nein, das tue ich nicht. Denn genau an dieser Stelle sehe ich das große Problem. Könnten wir über Privilegien reden, ohne dabei Vorwürfe zu meinen oder zu hören, könnten wir vielleicht besser verstehen. Sich mit Diskriminierung auseinanderzusetzen, hat immer und in erster Linie etwas mit Selbstkritik zu tun. Wann habe ich mich wie verhalten und war das vielleicht ungewollt sexistisch, rassistisch, diskriminierend? Selbstkritisch werde ich nicht, wenn ich mich angegriffen fühle. Selbstkritik gelingt viel besser, wenn ich mir die Erlaubnis gebe, mir danach auch zu verzeihen. Selbstkritik ist notwendig, wenn ich mich verantwortlich mit meinen Privilegien auseinandersetzen möchte.
Ich war bereits volljährig, als ich den ersten Transmenschen (übrigens ein Transmann) kennengelernt habe. Ich muss mir keinen Vorwurf dafür machen, dass ich mich mit der Lebenswelt eines Transmenschen nicht gut auskenne. Ich muss mir nur bewusst machen, dass ich ihre Perspektive überhaupt nicht kenne und daher schlecht urteilen kann. Dem kann ich nur gerecht werden, indem ich sie ernst nehme. Eselsbrücke könnte dabei Sokrates himself sein. „Ich weiß, dass ich nicht weiß.“ (sic)* ist als Mantra hervorragend geeignet, wenn es darum geht, bewusst mit den eigenen Privilegien umzugehen. Ich muss immer damit rechnen, dass es einen ganz wichtigen Punkt gibt, den ich nicht nachvollziehen kann und der meine Ansicht zu dem Thema völlig verändern würde, wenn ich denn schon auf ihn gestoßen wäre.
Es geht dabei nicht darum, Diskriminierung zu verteidigen, indem man zu viel Verständnis dafür aufbringt, oder sie schön redet. Es geht darum, sie endlich einfacher benennen zu können, da ein Benennen nicht sofort Rechtfertigung, Kleinreden, Abtun oder Gegenwehr herovrrufen müsste. Wenn wir mehr Verständnis für die blinden Flecken aufbringen, die wir durch unsere Privilegien unweigerlich erhalten, können wir einander helfen, darüber hinweg zu kommen. Dann können wir uns stets sagen: „An dieser Stelle habe ich ein Privileg, das mich blenden könnte. Ich sollte besser erst mal nachfragen bei Leuten, die das an eigener Haut erfahren.“ Und dann können wir eine Frauenbewegung in Solidarität gestalten.
Dies versuche ich schon seit Jahren mit dem Beispiel des Linksverkehrs in England zu erklären. Das ich zum Weltfrauentag 2017 endlich ein Mal aufgeschrieben habe. Viel Spaß dabei.
* Oft wird Sokrates falsch ins Deutsche übersetzt, indem aus dem korrekten „nicht“ ein s gehängt wird: „Ich weiß, dass ich nichts weiß“ hat allerdings eine ganz andere Bedeutung, wie durch die korrektere Englische Übersetzung zu „I know that I do not know“ deutlich wird. Bei Sokrates‘ Aporien ging es nie darum zu behaupten, er wisse gar nichts. Es geht darum, an einem gewissen Punkt einzusehen, dass man die Antwort auf diese Frage einfach nicht wissen könne und sich seines beschränkten Horizontes immer gewahr zu sein.
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