Dieser Brief ist an alle Menschen gerichtet, die sich gemeint fühlen. Das sind wohl in erster Linie die, die sich selbst als „Alt-Revoluzzer“ verstehen, oder von anderen als solche verstanden werden. Wenn dir jemand diese Seite empfohlen hat, dann würde er dir wohl einen ähnlichen Brief schreiben und tut es auf diesem Wege indirekt. Wenn dir dieser Brief gefällt, fühle dich frei, ihn auch an andere weiterzuleiten.
Liebe Alt-Revoluzzer,
vor fast einem halben Jahrhundert habt ihr euch für eine neue Wertsetzung eingesetzt. Ihr vertratet freiheitliche, demokratische und auf den Menschen fokussierte Ideale, welche die Gesellschaft verändern sollten, und wart damit teilweise erfolgreich. Einige der damaligen Träume sind in Erfüllung gegangen, andere auf der Strecke geblieben. Dabei drängt sich gerade angesichts der nahenden Bundestagswahl die Frage auf, wie viel davon denn heute noch übrig ist.
Die Wählerinnen und Wähler haben immer weniger das Gefühl, dass der Gang zur Wahlurne noch Auswirkungen hat und viele sind der Meinung, dass die Politik mehr einem Kasperletheater gleicht, in dem die wahren Wünsche der Menschen kaum noch Gehör finden.
„Jede Generation braucht ihre Revolution“. Jeffersons Zitat scheint seine Wahrheit zu haben. Man richtet sich zu schnell auf altbekannten Wegen ein, was zu gefährlichen, einseitigen Sichtweisen führt. Da braucht es die Jungen, die neue Perspektiven entwickeln. Ihr habt in den letzten 50 Jahren große Arbeit geleistet. Jetzt sind wir gefragt.
Wieder steht eine „Revolution“ an doch sie unterscheidet sich inhaltlich von der eurigen gar nicht mal so sehr. Sie ist eher eine Art Fortsetzung.
Dabei haben wir mit unserem Kampf im Vergleich zu eurem sowohl Vorteile als auch Nachteile. Unser größter Nachteil ist wohl die Bequemlichkeit bzw. Verdrossenheit zu überwinden und Menschen zu mobilisieren. Denn die Missstände äußern sich eher indirekt und lösen daher kein akutes Gefühl der Not aus. Andererseits ist unser bedeutendster Vorteil die neue Technik, die uns zur Verfügung steht. Mit Hilfe des Internets haben wir Möglichkeiten, deren langfristiges Ausmaß heute nur erträumt werden kann. Zweifelsfrei haben wir eine andere Kultur und eine etwas andere Herangehensweise als ihr. Und erfahrungsgemäß kann die ältere Generation die Kultur der Jungen oft nicht so gut verstehen. Das bedeutet jedoch nicht, dass die politischen Ziele einander widersprechen.
Wir brauchen eure Unterstützung. Nehmt euch ein wenig Zeit, unsere Ideen zu verstehen und nehmt uns in der Weise ernst, in der ihr damals auch ernst genommen werden wolltet. Ihr habt nun die Möglichkeit, es besser zu machen als eure Elterngeneration indem ihr uns unterstützt. Denn ohne eure Vorarbeit stünden wir ohnehin nicht dort, wo wir heute stehen. Lasst euch nicht von unserer jugendlichen Kultur ablenken, die ihr vielleicht nicht so recht versteht.
Die Ziele, die wir verfolgen gleichen den euren an vielen Stellen:
Anders als viele denken, ist das Internet viel mehr als nur ein Warenhaus, indem man sich Produkte und Informationen kaufen kann. Es verbindet Menschen auf der ganzen Welt miteinander und ermöglicht es ihnen, sich auszutauschen, zu organisieren und einander zu unterstützen. Auf diese Weise können wir unser gemeinsames Wissen viel besser bündeln, erweitern und verbreiten. Dies könnte uns helfen, gemeinsame Wege zu finden und zu einer ganz neuen Form der Demokratie zu kommen. Eine Demokratie, die nicht von Lobbyverbänden und Wirtschafts- oder Machtinteressen beeinflusst wird. Daher wehren wir uns dagegen, dass das Internet darauf reduziert wird, der verlängerte Arm des Kapitalismus zu sein. Kein Wunder, dass es einige gibt, die das stört.
Spätestens seit dem 11. September 2001 wurden in immer größerem Ausmaß Grund- und Bürgerrechte unter dem Vorwand der Sicherheit verwässert und sogar außer Kraft gesetzt. Viele dieser Rechte sind jedoch notwendig, damit Demokratie überhaupt möglich ist. Es ist sehr schädlich für die Demokratie, wenn ständig in den Menschen Angst vor anonymen Bedrohungen, wie dem „internationalen Terrorismus“, erzeugt wird. Ein aufgebauschtes Szenario, dessen reale Gefahr jedoch wesentlich geringer ist, als beispielsweise das Autofahren. Letzteres fordert jährlich erheblich mehr Menschenleben, als der sogenannte „internationale Terrorismus“, was allerdings nicht dazu führt, dass auch vor den Gefahren des Straßenverkehrs derart deutlich gewarnt wird, bzw. verkehrsbehindernde Gesetze erlassen werden.
Ebenso schädlich für die Demokratie ist es, wenn die Bürger sich ständig beobachtet fühlen. Ein Mensch, der sich einer dauerhaften Überwachung ausgesetzt sieht, ändert sein Verhalten, versucht nicht aufzufallen, neigt eher dazu, sich anzupassen. Somit beschneidet Überwachung die Freiheit der Menschen und beraubt sie daher eines wichtigen Grundrechts, zumal Freiheit eine wichtige Voraussetzung für Demokratie ist.
Wir beobachten, dass unsere Demokratie mehr und mehr ausgehöhlt wird und nur noch auf dem Papier besteht, während immer weniger Macht tatsächlich vom Volk ausgeht. Darin sehen wir auch den Grund für größer werdende Politikverdrossenheit.
Wir sehen ein großes Potential zur Re-Demokratisierung des Systems im Internet. Vor diesem Hintergrund ist beispielsweise auch die Blogger-Szene zu sehen, die immer wieder kritisiert, dass die Medien allzu häufig manipulativ berichten. Blogger sind Menschen, die selbst Nachrichten sammeln, im Internet verbreiten und damit allen ermöglichen an bessere Informationen heran zu kommen. Darum ist klar, dass uns alle Bestrebungen der Regierung zur Einführung von Zensurmechanismen aufs äußerste beunruhigen.
Kultur und Wissen werden immer mehr durch kapitalistische Prozesse gesteuert und den Profitinteressen des Kapitals untergeordnet. Wir finden jedoch, dass es sich bei Kultur und Wissen um Allgemeingüter handelt, die für eine funktionierende Demokratie unbedingt allen zugänglich gemacht werden müssen. Dabei ist uns sehr wichtig, dass die Schöpfer von Kultur und Wissen endlich eine angemessene Vergütung erhalten. Wir fordern nicht die Abschaffung des Urheberrechts sondern dessen grundlegende Überarbeitung. Denn das derzeitige Gesetz schützt weder die Künstlerinnen noch die Bürger sondern die Industrie, die an diesem Markt am meisten verdient. Es wird der Realität mit ihrer rasanten technischen Entwicklung nicht mehr gerecht und kann auch nicht durch eine immer weiter betriebene Ausweitung der Kontrolle des Internets erhalten werden. Unsere Ideen darauf zu reduzieren, dass wir lediglich umsonst Musik und Filme runterladen wollen, verkennt unsere Argumentation und nimmt uns somit nicht ernst.
Wir haben erkannt, dass das Internet grundlegende Veränderungen mit sich bringt und wollen uns dafür einsetzen, dass wir sowohl die Vorteile nutzen, als auch die Gefahren sehen und mit ihnen umgehen können. Dafür ist es jedoch wichtig, sich mit dieser Thematik ernsthaft zu beschäftigen und sie nicht nur als Randphänomen zu betrachten.
Wir setzen uns für mehr Transparenz in der Politik ein. Wir fordern die Beteiligung der Bürgerinnen an der Gestaltung unserer Welt statt Show-Politik und Verdummungs-industrie.
Politik soll wieder primär auf das Wohl aller Menschen ausgerichtet sein. Forschung und Wissen, welche durch Steuern finanziert werden, sollen dem Volk auch zur Verfügung gestellt werden, Kultur soll sich frei entwickeln können ohne allmächtige Verlage, die längst nicht mehr nach Qualitätskriterien auswählen, wer erfolgreich sein darf. Das Patentrecht muss wieder in ein Gleichgewicht mit den Ansprüchen der Allgemeinheit gebracht werden. Genauso wie das Urheberrecht. Die Bürger sollen wieder ernst genommen werden und die Verantwortung übernehmen.
Die größte Chance des Internets sehen wir in einer grundlegenden Erneuerung unseres politischen Systems hin zu mehr echter Demokratie und sozialer Gerechtigkeit.
Übrigens sind wir nicht alles Piraten. Die Piratenpartei ist wohl am häufigsten in den Medien, aber unsere Bewegung ist viel größer. Die Piratenpartei geht zweifelsohne daraus hervor, doch viele unserer Ideen werden im nicht-politischen Umfeld übertragen und unser Wirken beschränkt sich bei Weitem nicht nur auf die Politik in den Parlamenten.
Ihr seid damals für mehr Gleichberechtigung und Chancengleichheit auf die Straße gegangen. Ihr habt beim Widerstand gegen die Volkszählung schon erkannt, welche Gefahren derartige Bestrebungen mit sich bringen. Im Vergleich zu den heutigen Möglichkeiten war die Volkszählung ein Waisenkind.
Ihr habt euch gegen zu große Auswucherungen des Kapitalimus gewehrt und die Macht und Engstirnigkeit der Obrigkeiten angeprangert. Ihr fordertet freien Zugang zur Bildung für alle, was leider ebenfalls noch lange nicht durchgesetzt ist. Euer Ziel war größere Freiheit in der individuellen persönlichen Entfaltung. All dies hat durchaus Wirkungen auf die Gesellschaft gehabt. Doch die Ideale versickern und viele eurer Erfolge werden nach und nach wieder rückgängig gemacht: Vorratsdatenspeicherung, der Terrorparagraph, Bundestrojaner, das Gesetz zur Internetsperrung. Das alles sind Mechanismen, die in einem diktatorischen System fatale Folgen für das Volk hatten und haben. Ihr und eure Eltern musstet die Erfahrung, dass eine Diktatur schneller aufkommt als man denkt, bitter erleben. Man redet „gegen das Vergessen“, legt Kränze nieder und ist derweil im Begriff die gleichen Fehler zu wiederholen.
Und nun liegt es an der nächsten Generation, an uns, eure Arbeit aufzugreifen und weiter zu führen. Und wir werden aktiv. Doch dafür brauchen wir eure Unterstützung! Solidarisiert euch, informiert euch, nehmt uns ernst, helft uns!
Wir sind Menschen, die ihren frischen Geist einsetzen, um die Technik und die Strukturen neu zu bewerten und trotz allem den Glauben an eine neue Welt nicht aufgeben. Wir sind politisch vielleicht noch etwas unerfahren und gerade deshalb können wir eure Hilfe gut gebrauchen.
Es handelt sich also nicht wirklich um einen Gernerationenkonflikt, sondern eher darum, dass viele der älteren Generation noch nicht erkannt haben, dass wir uns für die gleichen Ziele einsetzen.
Nehmt uns ernst, wir sind aus dem selben Holz!
Was ihr tun könnt:
Informiert euch über Netzpolitik (z.B. auf Netzpolitik.org oder beim ChaosComputerClub oder bei der Piratenpartei)!
Sprecht mit euren Freundinnen und Freunden und erklärt ihnen, weshalb auch sie uns ernst nehmen sollten!
Seht euch Filme an wie „Good Copy Bad Copy“ oder „RIP“ oder „Us Now!“ oder „Steal this Film“ Teil 1 und Teil 2 die alle legal im Internet runterzuladen sind. Ladet dazu Freunde ein!
Der Elektrische Reporter hat auch ein paar gute Sendungen: Urheber 2.0 Teil 1 und Teil 2 oder Nerds oder auch Webwahlkampf Teil 1 und Teil 2
Lest Bücher wie „Free Culture“ von Lawrence Lessig (gibts auch auf deutsch) oder die Essays von Richard Stallman oder Texte über Freie Software, wie dieser hier.
Sendet diesen Brief weiter an eure Freunde.
Wählt die Piratenpartei in den Bundestag!
Kommentare
2 Antworten zu „Brief an die „Alt-Revoluzzer““
Klasse Seite! Liebe Grüße
Hi Lena,
schöner Brief !… im Sinne von gut, flüssig und ansprechend geschrieben. Versteh bitte meine Replique als spontane Reaktion – ohne weiteren Anspruch – weil sie nicht sorgfältig / sachlich auf
“ Piratenpolitik “ eingeht. Ich bin 59 Jahre alt. Revoluzzer war und bin ich wohl eher als Einzelperson im kleineren Kreis; mein “ Sendungsbewußtsein “ hat enge Grenzen. Aber die von Dir angeführten “ Werte “ gehören auch zu meinen und mir fiel ein, was damals mal ein “ alter 68er “ zu mir gesagt hatte….“
wenn Du politisch etwas verändern willst,
dann tritt in die SPD ein „… was ich ebensowenig getan habe, wie in eine andere Partei. Gewählt hab ich seither – grün; und es ist immer noch dieses ominöse “ kleinere Übel „; eine Geselllschaft, wie ich sie mir idealerweise vorstelle – wird es wahrscheinlich nicht geben; ganz sicher nicht Zeit meines Lebens.
Was mir bei dem kurzen Hipe um die Piraten auffiel….
egal, in welche Veranstaltung man geh’n möchte…
man muss Eintritt bezahlen – und sich an irgendwelche Regeln halten; einige Regelverletzungen werden hingenommen und führen vielleicht zu Veränderungen; andere zum Rausschmiss. Joschka Fischer trug mal Turnschuhe und grüne Muttis haben im Parlament Pullover gestrickt. Wenn Piraten – Ihr – erfolgrreich
sein wollt, solltet Ihr bei öffentlichen Auftritten klarer und zweifelsfreier – Eure Botschaften übermitteln.
Auf Zweifel, so menschlich und wahr sie sein mögen, reagiert “ Volk “ in der Summe – nie gut…. frag Dich,
ob Du in einen Bus steigen würdest, wenn Dir der Fahrer sagte, er wisse im Moment nich wohin er führe, sich schon durchfragen wolle….
weil mir kein gescheiter Schlußsatz einfällt – hört die mail einfach nur so – auf –
Alles Gute für 2013