Freundliches Feuer von indymedia

Auf der letzten Freiheit statt Angst Demo hat es Übergriffe seitens der Polizei gegenüber Demonstranten geben. Das so etwas passiert ist für mich nichts neues. Netterweise gibt es endlich mal ein Video davon und wir haben einen Beweis für etwas, was schon viele in meinem Umfeld, mich eingeschlossen, erlebt haben. (Sonst hauen die -meiner Erfahrung nach- meistens die Kameraträger als erste um. Da haben sie wohl nicht aufgepasst. Oder die Technikaffinität des Demonstrationsvolks unterschätzt.)
Die Jungpiraten Berlin haben daraufhin zu Montag zu einer Mahnwache aufgerufen und es sind auch einige gekommen. (Ich möchte dazu sagen, dass das die überhaupt erste Veranstaltung war, die die Jungpiraten geschmissen haben, wofür sie einen knappen Tag Zeit hatten.)
Nun gibt es auf indymedia.org (eine Seite, von der ich viel halte) einen Kommentar dazu, den ich gerne kommentieren möchte:

Viele Piraten haben tatsächlich wesentlich weniger unangenehme Erfahrung mit der Polizei gemacht, als viele linke. Da ist es vielleicht etwas naiv, aber bestimmt nicht unverständlich, wenn man zunächst nicht davon ausgeht, dass Polizei grundsätzlich böse ist. Zumal man ohnehin nicht nur in der Schule lernt, dass die Polizei immer ganz toll ist.
Nun wird die Rede kritisert (die ich nicht vollständig gehört habe, weil ich kurz weg war), in der die Polizeigewalt sogar verteidigt wird. Mir hat auch einiges daran nicht gefallen. Jedoch machte ich mir bewusst, dass nicht jede(r) schon mal unschuldig von einem Wasserwerfer weg gespült worden ist. Die Piraten geraten erstmals mit Themen in Kontakt, mit denen sich viele (ich sag jetzt mal) aktive linke schon sehr lange beschäftigen. Ist es da wirklich so schlimm, dass sie noch nicht alles in seiner vollen Tragweite erfasst haben? Bzw. ist es wirklich die einzig richtige Einstellung, dass Polizei komplett abgeschafft gehört?

An anderer Stelle müssen die Piraten dauernd erklären, wie Kinderpornografie denn anders bekämpft werden soll und weisen mit Recht auf unterbesetzte Ermittlungsbehörden in Sachen Kindesmisshandlung hin.

Wenn wir die totale Abschaffung der Polizei fordern, werden wir damit etwa so ernst genommen, wie die Feministinnen, die nach „der Salzstreuerin“ fragen. Beides hat das Ergebnis, dass ein ansich unglaublich wichtiges Thema an Bedeutung verliert, weil viele die Forderung für überzogen halten. Aber gerade hier ist es unglaublich wichtig, ernst genommen zu werden.

Jahrelang wurden linke Aktivisten nicht ernst genommen, wenn sie von Polizeigewalt berichteten. Nun versucht es die Piratenpartei mit einem anderen Weg: Wir fordern nicht die totale Abschaffung der Polizei, sondern eine transparentere Polizei, in der derartige Fälle (wie sie tagtäglich passieren) nicht mehr vorkommen, weil Konsequenzen für die entsprechenden Beamten nicht die Ausnahme, sondern die Regel darstellen. Und damit haben wir eine wesentlich größere Hoffnung, ernst genommen zu werden. Klar können wir einfach alle auf das System scheißen. Wir können aber auch versuchen, es zu verändern. Und von außen geht das nun mal nicht so gut.

Ich hoffe, dass die linken nicht einen ihrer Lieblingsfehler machen und am meißten auf ihre eigenen Verbündeten eindrischen, nur weil die die falsche Hosenfarbe tragen. Versaut uns nicht die Chance hier endlich tatsächlich etwas zu erreichen, nur weil viele von uns noch nicht so häufig von der Polizei verprügelt wurden wie ihr. Beachtet, dass viele von uns noch nicht so lange im politischen Geschehen zu Hause sind und vieles noch im Entstehungsprozess ist. Wenn wir eurer Meinung nach etwas nicht richtig verstanden haben, kommt auf uns zu und erklärt es uns. Mit solchen Kommentaren bewirkt ihr leider den Effekt, dass wir (und hier verstehe ich mich selbst als linke, die schon lange vor der Gründung der Piratenpartei für linke Werte gekämpft hat) wieder einmal zu zersplittert da stehen, um am Ende noch genügend Power zu haben und wenigstens die (wenn auch eventuell lächerliche) Kennzeichnungspflicht durchzukriegen.
Wir stehen für die gleiche Sache ein, auch wenn euch unsere Forderungen eventuell nicht weit genug gehen.

Ich persönlich habe sehr große Angst vor der Polizei. Noch mehr Angst habe ich übrigens vor privaten Überwachungsunternehmen. Und die wären (in diesem Wirtschaftssystem) die Konsequenz aus der Abschaffung der Polizei. Ich kenne andererseits auch Polizisten und Polizistinnen (eine davon habe ich auf der Mahnwache kennen gelernt), die absolut keine Hooligans sind und auch nicht aus diesem Grund zur Polizei gegangen sind. Die möchte ich in der ganzen Diskussion nicht vergessen wissen, weil es davon auch einige gibt.

Wir können also Staat und Repression und den Kapitalismus (weil der ja an allem schuld ist – und das meine ich ohne Ironie) die ganze Zeit unter Prügel beschimpfen und bekämpfen (was bisher noch nicht so erfolgreich war) oder es auf einem anderen Weg (der bisher zugegebenermaßen ebenfalls nicht erfolgreich war), nämlich Schritt für Schritt und unter weniger körperlicher Schäden, versuchen. Egal, welchen Weg wir einschlagen, wir sollten die, die den anderen Weg wählen, nicht dafür verurteilen.

Die Piraten möchten mit ihren Forderungen ernst genommen werden und die Tatsache, dass es nun endlich mal ein Video zu Polizeiübergriffen gibt hängt ja auch mit unserer Stärke (immer und überall eine Kamera dabei zu haben) zusammen. Wie in anderen Blogs festgestellt wurde, trägt die Piratenpartei ein Thema in die Mitte der Bevölkerung, das bisher seinen Platz nur am Rand hatte. Darüber sollten sich alle, die Kritik an der Polizei üben freuen. Konstruktive Kritik ist immer herzlich Willkommen. Wir können einiges von einander lernen, wenn wir einander (gegenseitig!) ernst nehmen.


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